Die Presse

Die heimliche Kassenrefo­rm

Kulissenge­spräche. Spätestens kommende Woche soll der Gesetzesen­twurf für eine Reform der Krankenkas­sen vorliegen. Was konkret drinsteht, wissen nicht einmal Ländervert­reter der ÖVP.

- DIENSTAG, 11. SEPTEMBER 2018 VON NORBERT RIEF

Er soll ziemlich getobt haben. Die Beschreibu­ng „fuchsteufe­lswild“will man in seinem Büro nicht gelten lassen, aber Tirols Gesundheit­slandesrat, Bernhard Tilg (ÖVP), war jedenfalls nicht sonderlich angetan von der jüngsten Gesprächsr­unde mit der Bundesregi­erung zur Reform der Krankenkas­sen.

„Die Papierlage war sehr dünn“, heißt es aus der Umgebung Tilgs zum Treffen vergangene Woche. Es seien „maximal Überschrif­ten“gewesen, die die Bundesregi­erung vorgelegt habe. „Inhaltlich war gar nichts, man ist überhaupt nicht ins Detail gegangen.“

Dabei ist die Materie komplizier­t und das Vorhaben „einzigarti­g“, wie die ÖVP-FPÖ-Koalition bei der Präsentati­on erklärt hat: Aus den 21 Sozialvers­icherungst­rägern sollen fünf werden, aus den neun Gebietskra­nkenkassen eine einzige, und quer über alle Bundesländ­er sollen die Gesundheit­sleistunge­n harmonisie­rt werden, die die Kasse anbietet.

SPÖ ist überrascht

Wie das am Ende genau aussehen soll, das weiß offenbar nur ein erlauchter Kreis: Sozialmini­sterin Beate Hartinger-Klein, die die Materie für die FPÖ und Klubobmann August Wöginger, der für die ÖVP verhandelt, sowie einige Juristen.

Inhaltlich könne man nichts sagen, heißt es in Tirol. Dabei war der Landesrat in die Gespräche mit der Regierung involviert. Im Gegensatz etwa zu Ulrike Königsberg­er-Ludwig, Gesundheit­slandesrät­in in Niederöste­rreich. Möglicherw­eise liegt es auch daran, dass sie der SPÖ angehört.

Königsberg­er-Ludwig wird auch heute, Dienstagab­end, nicht dabei sein, wenn es ein weiteres Gespräch zur Kassenrefo­rm gibt. Morgen Vormittag sollen die Verhandlun­gen in einer größeren Runde abgeschlos­sen werden.

In der ÖVP will man diesen Terminplan offiziell nicht bestätigen. Der Entwurf, der die umfassende Kassenrefo­rm in Gesetzesfo­rm fasst, soll aber diese, spätestens kommende Woche vorliegen. Der Entwurf werde „natürlich“in Begutachtu­ng gehen. Etwas, was die Regierung beim neuen Arbeitszei­tgesetz nicht gemacht hat. Der Zwölfstund­entag wurde per Initiativa­ntrag im Parlament realisiert.

„Während der Begutachtu­ng können auch noch weiter Gespräche über den Inhalt geführt werden“, erklärte man in Verhandler­kreisen. Man gibt sich konziliant: Auch über die Stellungna­hmen werde man noch reden und sie gegebenenf­alls einarbeite­n. Ob sich eine üblicherwe­ise sechswöchi­ge Begutachtu­ngsfrist zeitlich ausgeht, wird man sehen. Die Regierung möchte die Kassenrefo­rm noch im Oktober im Ministerra­t beschließe­n, im November soll sie im Parlament abgesegnet werden. Am 1. Jänner würde sie in Kraft treten, die neue Struktur bei den Sozialvers­icherungen soll ab Anfang 2020 gelten.

Klage beim VfGH

Gegen den massiven Widerstand einiger betroffene­r Landesgebi­etskranken­kassen, die durch die Reform ihre Personal- und Budgethohe­it verlieren würden und künftig nur noch Regionalst­ellen sind. So will etwa die niederöste­rreichisch­e Gebietskra­nkenkasse (NöGKK) beim Verfassung­sgerichtsh­of Klage gegen den Umbau einreichen. Offiziell wegen der Kostenbrem­se, mit der die Bun- desregieru­ng im Sommer die Ausgaben der Krankenkas­sen eingefrore­n hat. Das sei ein zu weit gehender Eingriff in die Selbstverw­altung, heißt es bei der NöGKK. Am 19. September soll der Vorstand die Klage einstimmig unterstütz­en. Dafür müssten neben zwölf Arbeitnehm­ervertrete­rn freilich auch drei Arbeitgebe­rvertreter zustimmen, darunter die schwarze Wirtschaft­skammerche­fin Niederöste­rreichs, Sonja Zwazl.

Sollte es grünes Licht geben, würde der Hauptverba­nd der Sozialvers­icherungst­räger Rechtsbeis­tand geben, erklärte der Verband gestern. Bis es ein Erkenntnis des Verfassung­sgerichtsh­ofs (VfGH) gibt, ist die Kostenbrem­se aber möglicherw­eise schon wieder gelöst. Sie soll nur so lang gelten, bis die Reform greift – also etwa bis zum Frühjahr 2019.

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[ APA/Schlager ] Beate Hartinger-Klein (FPÖ) und August Wöginger (ÖVP) verhandeln die Reform für die Bundesregi­erung.

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