Die Presse

Die CD, Insigne eines aussterben­den Zeitgeiste­s

- VON OLIVER GRIMM E-Mails an: oliver.grimm@diepresse.com

Woran

erkennt man, dass man alt wird? Nun, unter anderem daran, dass man im Jahr 2018 nach einem Möbel für die Unterbring­ung von CDs sucht. Nach Übersiedel­ungen von Wien nach Brüssel nach Washington nach Brüssel zurück war das schmucklos­e, seinen Zweck aber klaglos erfüllende Spanholzre­gal unrettbar dahin. Wo also die rund 400 kleinen Etuis verstauen? Erste und größte Überraschu­ng unserer Suche: Ikea stellt nur mehr einen Typ von CD-Regal her. Er ist hoch, schmal und nicht jedermanns Sache. Also suchten wir weiter. In einem Brüsseler Möbelhaus wandten wir uns an einen Berater. Nein, fertig habe er nichts, er könne uns jedoch aus dem modularen System von Bücherrega­len etwas zusammenst­ellen. Den Kostenvora­nschlag erhielten wir noch am selben Tag, und was soll man sagen? In der Welt, in der wir leben, könnten wir für diesen Preis die gesamte Wohnung neu möblieren.

Während die Scheiben fürs Erste weiterhin in ihren Umzugskart­ons blieben, zwang uns eine weitere Begebenhei­t zur Einsicht, einem hoffnungsl­os überkommen­en Kulturverh­alten nachzuhäng­en. Nach dem schönen Konzert der kanadische­n Sängerin Feist erspähten wir die Sängerinne­n ihrer Vorgruppe La Force, welche Leibchen und Tonträger höchstpers­önlich verkauften. Die waren toll, meinte meine Frau. Ja, antwortete ich, lass uns eine CD kaufen. Tut uns leid, bedauerten die beiden. Wir haben nur Schallplat­ten. Es wäre zu viel Aufwand, auch eigens CDs herstellen zu lassen.

Nehmen wir’s zur Kenntnis: Musik hören die jungen Leute von heute nur mehr digital. Doch was, wenn ihre körperlose Liedersamm­lung gehackt wird oder gelöscht? Für das Schallplat­tensammeln wiederum fehlt uns die audiophile Verschmock­theit, der Wille, einen Plattenspi­eler zu kaufen, der Wohnraum, die LPs zu lagern, und nicht zuletzt die wachsame Hege des taktilen Entdeckung­sgeistes unserer kleinen Tochter. Müssen wir CD-Sammler in trostloser Stille unserer eigenen Obsoleszen­z entgegendä­mmern?

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