Was das Scheitern von Lehman Brothers bedeutet
Vor zehn Jahren zeigten sich nicht nur die Fehler im Finanzsystem – auch Politik und Gesellschaft wurden bloßgestellt.
Die Welt hat heuer bereits des 50. Jahrestags des Prager Frühlings (und seiner Unterdrückung), des 100. Jahrestags des Endes des Ersten Weltkriegs und des 200. Geburtstags von Karl Marx gedacht. Sollte man sich vor diesem Hintergrund wirklich Gedanken über den zehnten Jahrestag des Zusammenbruchs von Lehman Brothers machen?
Ja, man sollte. Lehman Brothers war möglicherweise keine besonders große Bank und vermutlich beim Zusammenbruch noch nicht einmal insolvent. Trotzdem brachte sie das globale Finanzsystem beinahe zum Einsturz und löste eine große Rezession aus. Das Scheitern von Lehman Brothers war ein transformativer Moment, denn es veränderte die Wahrnehmung der Menschen über die Welt grundlegend.
Nach dem 15. September 2008 bewirkte die Angst vor einem weiteren Fall Lehman Brothers und einer noch tiefer gehenden Finanzkatastrophe, dass die USA einen Kurs hin zu weitreichenden Reformen einschlugen. Auch wurde die Investmentbank während der europäischen Finanzkrise, die nach 2010 ausbrach, immer wieder beschworen, was die Ängste vor einer durch Staatskonkurse und Zahlungsausfälle bedingten „Todesspirale“deutlich machte.
Inzwischen scheint die Schauergeschichte ihre Wirksamkeit eingebüßt zu haben. In den USA werden inzwischen Bankenreformen rückgängig gemacht, und in der EU liegen die staatlichen Schuldenquoten heute deutlich höher als 2008.
Trotzdem brachte die Finanzkrise von 2008 für politische Entscheidungsträger und Meinungsbildner drei neue große Narrative hervor. Erstens erlangte nach Lehman Brothers das meisterhafte Werk des amerikanischen Ökonomen Charles Kindleberger, „Manias, Panics, and Crashes“, aus dem Jahre 1978 neuerliche Popularität. Kindleberger bezog sich ausdrücklich auf Arbeiten des US-Ökonomen Hyman Minsky über Finanzzyklen, und seine Argumente wurden als Warnung vor dem „Marktfundamentalismus“verstanden.
Das zweite Narrativ war, dass der Kollaps von Lehman Brothers dem Crash an der Wall Street von 1929 und der Großen Depression neuerliche Relevanz verliehen hätte. Die Politik zog Lehren aus der Zwischenkriegszeit und vermied erfolgreich eine vollständige Wiederholung dieser Jahre.
Das dritte Narrativ besagt, dass der Zusammenbruch von Lehman Brothers das Ende des amerikanischen Kapitalismus einläutete. Diese Schmetterlingseffekt-Geschichte war in allen Ländern populär, die es leid waren, von den USA herumkommandiert zu werden. Der damalige deutsche Finanzminister, Peer Steinbrück, erklärte im September 2008: „Die USA werden ihren Status als die Supermacht des globalen Fi-