Muslimische Männer im Fokus
Islam. Die deutsche Autorin Sineb El Masrar erforscht in ihrem Buch „Muslim Men“die Lebensgeschichten junger Muslime. Sie sieht vor allem die Mütter gefordert, die die Söhne verhätscheln – und fordert, dass die Debatte enttabuisiert wird.
Autorin Sineb El Masrar: „Die Erziehung zur Selbstständigkeit fehlt bei muslimischen Männern.“
Die Presse: In Ihrem neuen Buch zeigen Sie exemplarisch muslimische Männer – wie repräsentativ sind diese? Sineb El Masrar: Das sind schon auch Superlative – etwa ein Student, der obdachlos auf der Straße lebte und dann erfolgreicher Unternehmensberater wurde. Vieles Erlebte, was sie erzählen, ist dennoch repräsentativ.
Bei jungen muslimischen Männern denkt man oft an eine patriarchale Familienstruktur, in der sie quasi gefangen sind. Es ist ein Mythos, dass man sich aus solchen Familien nicht herausbegeben kann. Nur wenn man, was bei vielen sogenannten muslimischen Männern zutrifft, nie gelernt hat, selbstständig und eigenständig zu sein, und keine gewisse Frustrationstoleranz hat, wird das schwierig.
Warum bringen das die Eltern ihren Kindern nicht bei? Das ist meist Überforderung. Aber es gibt Eltern, die Teil des Transformationsprozesses sind. Sie selbst bleiben vielleicht in den traditionellen Rollen, aber unterstützen ihre Kinder dabei, sich zu entwickeln.
Behindern der Islam oder die islamisch geprägte Kultur diese Emanzipation? Früher konnte man sich entscheiden, eine Symbiose aus dem Leben, wie man es im Dorf gelernt hatte, und dem der Mehrheitsgesellschaft zu leben, oder sich komplett zu verschließen, weil es bequemer ist. Heute manifestieren soziale Medien, Satellitenfernsehen und einige Moscheen ein reaktionäreres Islam- und Rollenverständnis. Es gibt für die Jugendlichen ja auch das Angebot der westlichen Kultur. Es gibt ja auch viele, die diese Chancen nutzen, sich weiterzuentwickeln und ein gutes Leben zu leben. Das gilt für alle, die die Freiheit in all ihren Facetten als Bereicherung verstehen. Sie haben meist auch eine familiäre Entwicklung erfahren, bei der es viel Zuneigung im Elternhaus gab und die Eltern ethische Werte vermittelt haben, etwa, nicht undankbar zu sein und die Chancen hier zu ergreifen.
Und wer ist dann dafür anfällig? Junge Männer, denn viele bekommen unglaublich viel Freiheit, haben aber nie gelernt, damit umzugehen. Junge Frauen werden viel eher dazu erzogen, nicht aus der Reihe zu tanzen. Weil zum Beispiel das Konstrukt der Familienehre über das Mädchen definiert wird. Umgekehrt wird Mädchen aber genau diese Freiheit oft nicht zugestanden. Aber wenn sie die Freiheit bekämen, wären sie eher in der Lage, ihr Leben sinnvoll zu gestalten.
Woran liegt das? Im Grunde kann ein junger Mann nichts machen, was die Familie beschämt. Richtig absurd: Besser, der Sohn sitzt im Gefängnis, als dass die Tochter ungewollt schwanger wird. Mädchen werden befähigt, selbstständig zu sein. Das heißt aber nicht, dass sie alle Freiheiten auch leben dürfen. Viele führen ein Doppelleben.
Es gibt bei den Mädchen auch noch extremere Fälle. Zwangsverheiratung, Zwangsverhüllung, Genitalverstümmelung, das ist bittere Realität, und es wird leider nicht weniger, aber es ist nicht die Mehrheit! Muslimischen Müttern wird häufig vorgeworfen, dass sie ihre Söhne zu Paschas erziehen. Frauen erfahren leider oft nur Wertschätzung als Mutter. Die weibliche Adoleszenzphase erzeugt noch immer Panik in vielen muslimischen Familien. Wenn sie sich aber nie frei entfalten durften, werden sie eines Tages unglückliche Frauen. Denn Mutterglück ist nicht das einzige Glück einer Frau. Nicht wenige neigen dann dazu, ihre Söhne als Ersatzpartner zu verstehen – nicht im sexuellen Sinn, sondern im sozialen. Der Sohn wertet sie als Frau auf im patriarchalen System. An ihn kann sie Forderungen stellen, die ihr Mann nicht beachtet.
Und wie geht es dann den Söhnen damit? Ein Sohn steht dadurch in einer ambivalenten Beziehung zu seiner Mutter. Er liebt sie, wird aber auch abhängig gemacht. Manche Söhne verachten sie auch insgeheim deswegen.
Was kann die Politik tun, um diesen Kreislauf zu unterbrechen? Wir müssen ein Umfeld kreieren, damit aus diesen jungen Menschen ausgeglichene Bürger werden. Darüber offen ohne Scham reden, diesen Druck aus dem Kessel zu nehmen, ist auch Teil der Lösung. Dafür brauchen wir aber fähige Akteure ohne rechte oder islamistische Agenda.
Politisch geht die Entwicklung in Richtung Härte gegenüber Migranten und Islam. Macht das die Aufgabe schwieriger? Wo enttabuisiert wird, kommen heftige Dinge zum Vorschein. Diese muss man nüchtern betrachten und nicht instrumentalisieren. Aber Unterdrücken führt irgendwann dazu, dass einem so viele Probleme um die Ohren fliegen, die nicht mehr zu beheben sind.
Kann man Deutschland und Österreich in dieser Hinsicht vergleichen? Da gibt es viele Parallelen. In Österreich gibt es eine rechtslastigere Regierung, die nicht dazu beiträgt, diese und andere Probleme zu beheben. Es gibt aber auch mehr Islamvertreter, die völlig islamismusunkritisch sind. Auch Österreich muss die bedachten Akteure mit Expertise dabei unterstützen, Konzepte zu erarbeiten. Und diese dann auch umsetzen.