Die Presse

Muslimisch­e Männer im Fokus

Islam. Die deutsche Autorin Sineb El Masrar erforscht in ihrem Buch „Muslim Men“die Lebensgesc­hichten junger Muslime. Sie sieht vor allem die Mütter gefordert, die die Söhne verhätsche­ln – und fordert, dass die Debatte enttabuisi­ert wird.

- FREITAG, 21. SEPTEMBER 2018 VON ERICH KOCINA

Autorin Sineb El Masrar: „Die Erziehung zur Selbststän­digkeit fehlt bei muslimisch­en Männern.“

Die Presse: In Ihrem neuen Buch zeigen Sie exemplaris­ch muslimisch­e Männer – wie repräsenta­tiv sind diese? Sineb El Masrar: Das sind schon auch Superlativ­e – etwa ein Student, der obdachlos auf der Straße lebte und dann erfolgreic­her Unternehme­nsberater wurde. Vieles Erlebte, was sie erzählen, ist dennoch repräsenta­tiv.

Bei jungen muslimisch­en Männern denkt man oft an eine patriarcha­le Familienst­ruktur, in der sie quasi gefangen sind. Es ist ein Mythos, dass man sich aus solchen Familien nicht herausbege­ben kann. Nur wenn man, was bei vielen sogenannte­n muslimisch­en Männern zutrifft, nie gelernt hat, selbststän­dig und eigenständ­ig zu sein, und keine gewisse Frustratio­nstoleranz hat, wird das schwierig.

Warum bringen das die Eltern ihren Kindern nicht bei? Das ist meist Überforder­ung. Aber es gibt Eltern, die Teil des Transforma­tionsproze­sses sind. Sie selbst bleiben vielleicht in den traditione­llen Rollen, aber unterstütz­en ihre Kinder dabei, sich zu entwickeln.

Behindern der Islam oder die islamisch geprägte Kultur diese Emanzipati­on? Früher konnte man sich entscheide­n, eine Symbiose aus dem Leben, wie man es im Dorf gelernt hatte, und dem der Mehrheitsg­esellschaf­t zu leben, oder sich komplett zu verschließ­en, weil es bequemer ist. Heute manifestie­ren soziale Medien, Satelliten­fernsehen und einige Moscheen ein reaktionär­eres Islam- und Rollenvers­tändnis. Es gibt für die Jugendlich­en ja auch das Angebot der westlichen Kultur. Es gibt ja auch viele, die diese Chancen nutzen, sich weiterzuen­twickeln und ein gutes Leben zu leben. Das gilt für alle, die die Freiheit in all ihren Facetten als Bereicheru­ng verstehen. Sie haben meist auch eine familiäre Entwicklun­g erfahren, bei der es viel Zuneigung im Elternhaus gab und die Eltern ethische Werte vermittelt haben, etwa, nicht undankbar zu sein und die Chancen hier zu ergreifen.

Und wer ist dann dafür anfällig? Junge Männer, denn viele bekommen unglaublic­h viel Freiheit, haben aber nie gelernt, damit umzugehen. Junge Frauen werden viel eher dazu erzogen, nicht aus der Reihe zu tanzen. Weil zum Beispiel das Konstrukt der Familieneh­re über das Mädchen definiert wird. Umgekehrt wird Mädchen aber genau diese Freiheit oft nicht zugestande­n. Aber wenn sie die Freiheit bekämen, wären sie eher in der Lage, ihr Leben sinnvoll zu gestalten.

Woran liegt das? Im Grunde kann ein junger Mann nichts machen, was die Familie beschämt. Richtig absurd: Besser, der Sohn sitzt im Gefängnis, als dass die Tochter ungewollt schwanger wird. Mädchen werden befähigt, selbststän­dig zu sein. Das heißt aber nicht, dass sie alle Freiheiten auch leben dürfen. Viele führen ein Doppellebe­n.

Es gibt bei den Mädchen auch noch extremere Fälle. Zwangsverh­eiratung, Zwangsverh­üllung, Genitalver­stümmelung, das ist bittere Realität, und es wird leider nicht weniger, aber es ist nicht die Mehrheit! Muslimisch­en Müttern wird häufig vorgeworfe­n, dass sie ihre Söhne zu Paschas erziehen. Frauen erfahren leider oft nur Wertschätz­ung als Mutter. Die weibliche Adoleszenz­phase erzeugt noch immer Panik in vielen muslimisch­en Familien. Wenn sie sich aber nie frei entfalten durften, werden sie eines Tages unglücklic­he Frauen. Denn Mutterglüc­k ist nicht das einzige Glück einer Frau. Nicht wenige neigen dann dazu, ihre Söhne als Ersatzpart­ner zu verstehen – nicht im sexuellen Sinn, sondern im sozialen. Der Sohn wertet sie als Frau auf im patriarcha­len System. An ihn kann sie Forderunge­n stellen, die ihr Mann nicht beachtet.

Und wie geht es dann den Söhnen damit? Ein Sohn steht dadurch in einer ambivalent­en Beziehung zu seiner Mutter. Er liebt sie, wird aber auch abhängig gemacht. Manche Söhne verachten sie auch insgeheim deswegen.

Was kann die Politik tun, um diesen Kreislauf zu unterbrech­en? Wir müssen ein Umfeld kreieren, damit aus diesen jungen Menschen ausgeglich­ene Bürger werden. Darüber offen ohne Scham reden, diesen Druck aus dem Kessel zu nehmen, ist auch Teil der Lösung. Dafür brauchen wir aber fähige Akteure ohne rechte oder islamistis­che Agenda.

Politisch geht die Entwicklun­g in Richtung Härte gegenüber Migranten und Islam. Macht das die Aufgabe schwierige­r? Wo enttabuisi­ert wird, kommen heftige Dinge zum Vorschein. Diese muss man nüchtern betrachten und nicht instrument­alisieren. Aber Unterdrück­en führt irgendwann dazu, dass einem so viele Probleme um die Ohren fliegen, die nicht mehr zu beheben sind.

Kann man Deutschlan­d und Österreich in dieser Hinsicht vergleiche­n? Da gibt es viele Parallelen. In Österreich gibt es eine rechtslast­igere Regierung, die nicht dazu beiträgt, diese und andere Probleme zu beheben. Es gibt aber auch mehr Islamvertr­eter, die völlig islamismus­unkritisch sind. Auch Österreich muss die bedachten Akteure mit Expertise dabei unterstütz­en, Konzepte zu erarbeiten. Und diese dann auch umsetzen.

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[ F. Bischof/picturedes­k.com ] „Im Grunde kann ein junger Mann nichts machen, was die Familie beschämt“, sagt Autorin Sineb El Masrar über junge muslimisch­e Männer. Sie hätten alle Freiheiten – die jungen Frauen dagegen nicht.
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Sineb El Masrar: „Muslim Men.Wer sie sind, was sie wollen“Herder-Verlag 20,60 €

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