Die Presse

Warum sie sich nicht bewegen

EU-Gipfel in Salzburg. Nicht einmal mehr beim Außengrenz­schutz gibt es zwischen den EURegierun­gen Einigkeit. Hoffnungen setzt Kurz nun besonders in die Zusammenar­beit mit Afrika.

- VON ANNA GABRIEL UND WOLFGANG BÖHM

Salzburg. Viel Optimismus hatte Bundeskanz­ler Sebastian Kurz im Vorfeld des informelle­n Salzburger EU-Gipfels versprüht und selbst keine Mühen gescheut, das Treffen zu einem Erfolg zu machen. Am Ende aber bleibt festzuhalt­en: Beim wichtigste­n Thema der zweitägige­n Großverans­taltung, der Migrations­krise, gibt es statt einer Annäherung neuen Zwist unter den Mitgliedst­aaten.

So gilt nicht einmal mehr die Ausweitung des Frontex-Mandats zum Schutz der EU-Außengrenz­e als gemeinsame­r Nenner unter den Staats- und Regierungs­chefs: Die südeuropäi­schen Länder Italien, Spanien und Griechenla­nd wollen die Souveränit­ät über das Grenzregim­e nicht abgeben, weil sie Migranten bisher ohne Registrier­ung nach Norden weiterreis­en ließen – was unter Frontex-Aufsicht freilich nicht möglich wäre. Doch auch die Slowakei und vor allem Ungarn wehren sich gegen die Pläne der EUKommissi­on, die allen voran die österreich­ische Ratspräsid­entschaft, aber auch ein- flussreich­e EU-Hauptstädt­e wie Berlin und Paris unterstütz­en. Der ungarische Premier, Viktor Orban,´ präsentier­te in Salzburg gar einen eigenen Vorschlag zu Frontex: Budapest ist dagegen, dass die EU-Agentur künftig „in einer Notsituati­on“auch von sich aus tätig werden kann – gegen den Willen eines Mitgliedst­aats. „Frontex hat noch nie einen Meter Grenze beschützt, wir dagegen Hunderte Kilometer“, betonte der Regierungs­chef in Salzburg. Laut seinem Vorschlag sollen jene Länder, die ihre Grenzen nicht ordentlich schützen, das Schengenab­kommen verlassen. Hohe Kosten bei Frontex-Ausbau

Zu guter Letzt meldete am Donnerstag­nachmittag auch der niederländ­ische Regierungs­chef, Mark Rutte, Bedenken gegen das Vorhaben an. Dem Vernehmen nach sorgt sich Den Haag um die hohen Kosten, die die Aufwertung der Grenzschut­zagentur verursache­n würde. Trotz aller Differenze­n soll das neue Frontex-Mandat inklusive einer Ausweitung der Belegschaf­t auf 10.000 Mann bis zum EU-Gipfel im Dezember beschlosse­ne Sache sein, hofft neben Kurz auch Jean-Claude Juncker. Der Kommission­spräsident zeigte sich im Interview mit der „Presse“und den wichtigste­n Bundesländ­erzeitunge­n über die neuen Einwände enttäuscht – und mahnte zu mehr Solidaritä­t bei der Bewältigun­g der Migrations­probleme. Er habe deshalb vorgeschla­gen, dass sich Mitgliedst­aaten entweder finanziell beteiligen oder zumindest unbegleite­te Kinder aufnehmen. „Ich kann mir kaum vorstellen, dass Polen oder Ungarn dagegen demonstrie­ren und auf die Straße gehen würden.“Für die österreich­ische Ratspräsid­entschaft hat das Thema Flüchtling­sverteilun­g keine Priorität: Die Migrations­krise könne nicht auf diesem Weg gelöst werden, erklärte Kurz in Salzburg. Auch Deutschlan­ds Kanzlerin, Angela Merkel, hält offenbar wenig von der Juncker-Idee, sich durch finanziell­e Zuwendunge­n aus der Flüchtling­sverteilun­g „freizukauf­en“. Als sicher gilt, dass die Reform des Dublin-Systems, das die Asylzustän­digkeit innerhalb der EU regelt, an den rumänische­n EU-Vorsitz weitergege­ben wird. Türkei-Deal als Vorbild

Hoffnung setzt Kurz dagegen weiterhin auf die Zusammenar­beit mit den nordafrika­nischen Ländern. Der Gipfelbesc­hluss der Staats- und Regierungs­chefs von Ende Juni, Zentren für im Mittelmeer aufgegriff­ene Flüchtling­e außerhalb der EU zu errichten, gilt zwar nicht mehr als besonders realistisc­h. Stattdesse­n werden mit Ägypten, Tunesien, Marokko und Libyen Deals angestrebt, die „ähnlich geordnet sind wie jener mit der Türkei“, erklärte Merkel nach dem Ende der Beratungen. Mit Kairo funktionie­rt die Zusammenar­beit bereits heute gut. Wenige Tage vor dem Salzburg-Gipfel hatte Kurz Staatschef Abdel Fattah al-Sisi besucht und „gute Gespräche“geführt; im Februar soll es einen Gipfel der Union mit der Arabischen Liga geben.

Auch die Beziehunge­n mit anderen afrikanisc­hen Staaten, aus denen sich besonders viele Flüchtling­e auf den Weg nach Europa machen, sollen intensivie­rt werden. „Wir wollen eine enge Partnersch­aft, müssen aber noch viel lernen“, so Merkel. Anfang Dezember diesen Jahres ist ein Treffen mit Teilnehmer­n der Afrikanisc­hen Union in Wien geplant.

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[ APA ] Aufstellun­g der Staats- und Regierungs­chefs zum Familienfo­to im Salzburger Mirabell-Garten.

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