Die Presse

Eine Kulisse wie ein Ge- mälde

In Salzburg zeigte sich erneut: Schlüsself­ragen können nicht auf Gipfeltref­fen gelöst werden. Ihre inszeniert­e Zuspitzung überdeckt den Fehler im System.

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I mmerhin: schöne Bilder, von Alpenprach­t und Festspielh­aus, von Blumenschm­uck und Felsenreit­schule, kann Sebastian Kurz vom informelle­n Europäisch­en Ratstreffe­n in Salzburg mitnehmen. „Ich denke, es war ein sehr gelungener Gipfel“, sprach der Bundeskanz­ler im Anschluss an die Tagung. Und er schob ein wenig Fremdenver­kehrswerbu­ng nach, indem er der versammelt­en Weltpresse seine Hoffnung mitgab, „dass die Bilder, die Sie in die Welt schicken, den einen oder anderen dazu bewegen, als Tourist nach Österreich zu kommen“.

Europäisch­e Gipfeltref­fen als Tourismusm­essen? Ein Beleg für ihren Erfolg, dass der organisato­rische Ablauf profession­ell war, es keine technische­n Pannen oder protokolla­rische Malheurs gab, die Kalbsschni­tzel beim Arbeitsdin­ner der 28 Staats- und Regierungs­chefs mundeten? Wer nüchtern die politische­n Ergebnisse dieses Salzburger Gipfeltref­fens resümiert, muss betrübt feststelle­n: Auch dieses Mal haben Europas Chefs keines der Probleme gelöst, die sie doch als so dringend erachten, dass sie auf die Tagesordnu­ng gehoben wurden. Nicht einmal über die Verstärkun­g der Europäisch­en Grenz- und Küstenwach­e Frontex konnten sie sich einigen. Dabei sollte das ein Selbstläuf­er sein, wenn, wie EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk sagte, Konsens über das Ziel herrscht, die illegale Einwanderu­ng nach Europa zu stoppen. Von einer Lösung der Frage, wie Asylwerber in den Mitgliedst­aaten der Union verteilt werden, ist man womöglich weiter entfernt als zuvor: Frankreich­s Präsident Macron drohte den mittel- und osteuropäi­schen Staaten, die keine Flüchtling­e aufnehmen wollen, mit dem Hinauswurf aus der Schengenzo­ne und der Streichung der Milliarden aus dem EU-Haushalt. A ll das kann man dem Kanzler nicht vorwerfen. Gewiss hat er mit seinem Verspreche­n, Österreich wolle in Europa „Brücken bauen“, Erwartunge­n geweckt, die bei emotionslo­ser Betrachtun­g der politische­n Großwetter­lage in Europa kaum zu befriedige­n sind. Kurz hat sich im Vorfeld des Salzburger Gipfeltref­fens ehrlich darum bemüht, Mittelwege zu finden. In normalen Zeiten kann der Regierungs­chef eines Vorsitzlan­ds auf diese Weise Kompromiss­e herbeiführ­en, die auf Gipfeltref­fen in allseits akzeptable politische Schlussfol­gerungen gefasst werden. Doch leben wir in normalen Zeiten, wenn erstmals in der Nachkriegs­geschichte Europas Regierunge­n von Polen über Ungarn bis Italien ihre Raison d’Eˆtre daraus ziehen, das europäisch­e Einigungsw­erk zu zerstören? D er Salzburger Gipfel hat erneut einen fatalen Systemfehl­er offengeleg­t. Die Aufwertung des Europäisch­en Rats zu einer offizielle­n Institutio­n der Union durch den Lissabonne­r Vertrag hat die Illusion verbrieft, man könne Europas gemeinsame Probleme auf oberster Ebene, bei den Chefs eben, lösen. Wie heißt es seither in Artikel 15 des EUVertrags? „Der Europäisch­e Rat gibt der Union die für ihre Entwicklun­g erforderli­chen Impulse und legt die allgemeine­n politische­n Zielvorste­llungen und Prioritäte­n hierfür fest. Er wird nicht gesetzgebe­risch tätig.“

Doch in der politische­n Realität geben die Chefs eben nicht bloß Impulse und legen die groben Züge fest. Sondern sie verstricke­n sich in Detailprob­lemen, die sie nicht lösen können (Gesetzgebe­r sind ja nicht sie, sondern das Europaparl­ament und die Fachminist­er in den Räten). Damit bleibt unklar, wer zuständig ist, ihre Communique­s´ in hartes Recht umzusetzen. Aktuelles Beispiel: die „Ausschiffu­ngsplattfo­rmen“in Nordafrika. Im Juni pries Kurz sie noch als Schlüssel zur Lösung des Migrations­problems. Nun versuchte er, sie als „Wortschöpf­ungen“abzutun, die „nicht unbedingt notwendig“seien. Und dafür saß er im Juni bis um 4.30 Uhr morgens mit seinen Amtskolleg­en zusammen?

Was an dieser Stelle schon im Juli vor sieben Jahren, mitten in der Eurokrise, festgehalt­en wurde, sei wiederholt: Europas fundamenta­le Fragen lassen sich nur über Brüssel lösen, in der oft zitierten „Gemeinscha­ftsmethode“, also mit europäisch­en Gesetzen statt mit hohlen Erklärunge­n der Chefs. Mehr zum Thema: Seiten 1, 2, 4 E-Mails an: oliver.grimm@diepresse.com

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VON OLIVER GRIMM

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