Die Presse

Jean-Claude Juncker: „Warne davor, Populis- ten nachzuäffe­n“

Interview.

- VON WOLFGANG BÖHM

Die Presse: Wie war der Abend des EU-Gipfels in der Felsenreit­schule? Jean-Claude Juncker: Das Wiener Schnitzel war ausgezeich­net.

Und das Drumherum? Die Vorschläge der Kommission zu einer Aufstockun­g und Stärkung der EU-Grenz- und Küstenwach­e sind auf breiten Zuspruch gestoßen. Einige Details müssen noch diskutiert werden, und die Minister im Rat der EU und das Europaparl­ament werden sich jetzt damit beschäftig­en. Ich bin aber zuversicht­lich, dass der Vorschlag vor Ende des Jahres angenommen wird.

Droht die Migrations­frage, die EU immer mehr zu spalten? Wir drehen uns ein wenig im Kreis. Wir müssen uns mit den Reformen aber intensiv beschäftig­en. Eine Verstärkun­g des Schutzes der Außengrenz­en wird kommen. Die Frage der Umverteilu­ng der Flüchtling­e wird, wenn alles so bleibt, nicht zu lösen sein. Ich habe deshalb einen Vorschlag gemacht, den ich selbst nicht so mag: Länder, die keine Flüchtling­e aufnehmen, sollen sich in anderen Bereichen, etwa bei der Finanzieru­ng des Grenzschut­zes, stärker engagieren. Und wer schon keine Flüchtling­e nimmt, der sollte zumindest unbegleite­te Minderjähr­ige versorgen. Ich glaube nicht, dass es in Ungarn oder Polen deshalb zu Protesten auf der Straße kommen würde.

Wie geht es Ihnen mit den vorgeschla­genen Flüchtling­slagern in Afrika? Mir geht es damit gut, den Afrikanern aber nicht. Wir können nicht in Brüssel entscheide­n, was die Afrikaner tun sollen. Im Jahr 2050 wird einer von vier Menschen auf der Welt Afrikaner sein, das muss uns klar sein. Ich bin der Meinung, dass man Afrika mehr unterstütz­en muss, auf mittlere Sicht mit einer großen Freihandel­szone. Das ist nicht so schwer. Bereits jetzt handeln 52 Länder zollfrei mit Europa. Man muss Afrika als Partner sehen und nicht mit einem karitative­n Ansatz behandeln. Die Afrikaner können das selbst regeln.

Wie zufrieden sind Sie mit der österreich­ischen Präsidents­chaft? Die Österreich­er machen das sehr gut. Manchmal gibt es Zwischenzu­ngenschläg­e, die mir nicht so gefallen, aber grundsätzl­ich machen sie das gut.

Und wie macht es Bundeskanz­ler Sebastian Kurz? Sebastian agiert sehr umsichtig. Er redet mit allen, er bindet alle ein. Er macht das nahezu perfekt.

Was sagen Sie dazu, dass in Österreich eine Partei mit in der Regierung sitzt, die sich mit den extremen Rechten, etwa in Italien, verbündet? Mir gefällt einiges nicht. Wir wissen, dass die FPÖ mit am Kabinettst­isch sitzt. Aber im Regierungs­programm ist ein proeuropäi­scher Kurs festgeschr­ieben. Und so handelt die österreich­ische Bundesregi­erung auch.

Sehen Sie die FPÖ als proeuropäi­sche oder als europafein­dliche Partei? Es ist die FPÖ.

War die Teilnahme von Wladimir Putin an der Hochzeit der österreich­ischen Außenminis­terin Karin Kneissl ein Ausrutsche­r? Mit privaten Festen beschäftig­e ich mich nicht. Wer wen einlädt und wer kommt, spielt keine Rolle. Wenn ich noch einmal heiraten würde, würde ich Herrn Putin aber sicher nicht einladen.

Wie ist Ihr Verhältnis zu Österreich? Entspannt. Ich kenne das Land relativ gut. Ich mag die Menschen, ich mag den typisch österreich­ischen Hausversta­nd. Wenn es mehr davon in Europa gäbe, kämen wir in der Union besser voran. Sie warnten in der Rede zur Lage der Union vor dem „Gift des Nationalis­mus“. Man muss da mehrere Ebenen unterschei­den. Wenn ich vor Nationalis­mus und Populismus warne, dann warne ich vor allem davor, den Populisten nachzulauf­en und sie nachzuäffe­n. Die Leute wählen immer die Originale. Was man nicht darf, ist, die vielen Menschen, die europaskep­tisch sind, zu beschimpfe­n. Sie sind nicht per se gegen Europa. Mit ihnen muss man reden. Aber stupide, bornier- te Nationalis­ten sind kein Umgang.

Welche Gegenmitte­l gibt es gegen den Nationalis­mus? Man darf ihn nicht einfach hinnehmen, man darf ihn nicht tolerieren. Man darf antisemiti­sche und rassistisc­he Aussagen nicht widerspruc­hslos hinnehmen.

An diesem Nationalis­mus könnte jetzt in der EU auch ein besserer Grenzschut­z scheitern. Das hoffe ich nicht. Seit drei Jahren wird überall in Europa nach einem besseren Grenzschut­z gerufen. Jetzt gibt es von der EU dazu Vorschläge, und in einigen Ländern wird dagegen zu Felde gezogen. Da wird behauptet, dass dadurch die Souveränit­ät eingeschrä­nkt wird. Der Schutz der Außengrenz­en ist eine europäisch­e Angelegenh­eit. Deshalb muss hier mehr gemeinsam agiert werden.

Was sagen Sie den Skeptikern in Italien, Spanien oder Griechenla­nd? Es ist eine Hilfe, die von innen kommt. Aber egal, was man zum Schutz der Außengrenz­en vorschlägt, wie man es macht, es stößt nicht immer alles gleich auf spontane Zustimmung. Deshalb müssen wir weiterhin werben, erklären, überzeugen.

Fürchten Sie, dass die Union an diesen Auseinande­rsetzungen scheitern könnte? Ich bin seit 30 Jahren in der Europapoli­tik unterwegs. Es gab eigentlich keine Zeiten, in denen Europa nicht in der Krise war. Trotz dieses Krisenmodu­s gibt es aber den Grundkonse­ns, dass es keine Alternativ­e zur Europäisch­en Union gibt.

Wie ist der Stand der Brexit-Verhandlun­gen? Wir nähern uns an. Aber die Grenzfrage in Irland ist sehr schwierig. Klar ist auch, dass es keinen Austritt aus der EU geben kann und alle Privilegie­n der Gemeinscha­ft erhalten bleiben. Brexit means Brexit. Aber auch zukünftig werden wir Britannien nicht feindselig gegenübers­tehen, sondern versuchen, einen Freihandel­sraum zu schaffen. Wir sind mit Großbritan­nien nicht im Krieg. Wir müssen aber vorsichtig sein wie zwei sich liebende Igel. Wenn sich zwei Igel umarmen, dann muss man aufpassen, dass es keine Kratzer gibt.

Soll es über den Austrittsv­ertrag in Britannien noch einmal eine Volksabsti­mmung geben? Premiermin­isterin May hat hier in Salzburg klargestel­lt, dass es kein zweites Referendum geben wird. Allerdings muss das britische Parlament dem Austrittsv­ertrag zustimmen, so wie das EU-Parlament auch. Und nicht alles, was London gefällt, gefällt auch dem EU-Parlament. Man muss genau ausloten, wo die Schnittmen­gen liegen. Was verliert Europa mit Großbritan­nien? Man soll nicht alles so überdramat­isieren. Großbritan­nien bleibt ein wichtiger Handels- und Sicherheit­spartner für die EU. Wir verlieren mit den Briten aber ein Stück Pragmatism­us. Ich bedaure den Austritt deshalb sehr.

Die EU verliert in der Außenpolit­ik an Gewicht, sie verliert militärisc­he Stärke. Was bedeutet das für den Auftritt in der Welt? Der Auftritt war schon jetzt schwierig. Da außenpolit­ische Entscheidu­ngen in der EU einstimmig getroffen werden müssen, sind wir oft sprachlos. Ein Beispiel: Die EU kann bei der Menschenre­chtskommis­sion in Genf die Verletzung­en der Menschenre­chte in China nicht verurteile­n, weil ein Land dagegen ist. Ich habe vorgeschla­gen, in Fragen der Außenpolit­ik, etwa wenn es um die Menschenre­chte geht, auch mit qualifizie­rter Mehrheit zu entscheide­n, um wieder Sprachgewa­lt in der Welt zu erlangen.

Wie war die Resonanz? Der Vorschlag ist noch nicht im Detail diskutiert worden. Die deutsche und französisc­he Regierung unterstütz­en den Vorschlag ausdrückli­ch in ihrer gemeinsame­n Erklärung von Meseberg. Doch einfach wird es nicht. Man müsste auch exakt festlegen, für welche Bereiche dies gelten soll.

Wäre es nicht sinnvoll, wenn etwa die EU im UNO-Sicherheit­srat mit einer Stimme sprechen würde? Ich halte das für geboten, aber es wird nicht so schnell dazu kommen.

Sie haben in der Rede zur Lage der Nation gesagt, Sie lieben Europa. Verzweifel­n Sie nicht ab und zu an dieser Liebe? Nein, nein, nein. Wenn man liebt, übersieht man vieles. Liebe macht blind. Ich habe es auf Französisc­h gesagt. Auf Französisc­h klingt das besser. Liebe ist halt ein Gefühl, ein Zustand, den man besser auf Französisc­h rüberbring­t als auf Deutsch.

Christian Kern auf EU-Ebene, was sagen Sie zu dieser Nachricht? Ich bin nicht Mitglied der SPÖ.

 ?? [ AFP ] ??
[ AFP ]
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria