Die Presse

Flüchtling­e zwischen den Fronten

Libyen. Der Machtkampf der Milizen in Tripolis bringt Einwohner und einige Tausend Migranten und Flüchtling­e in Gefahr. Der Einsatzlei­ter von „Ärzte ohne Grenzen“schildert die prekäre Lage.

- VON WIELAND SCHNEIDER

Eigentlich sollten die Waffen schweigen. Doch die von der UNO vermittelt­e Feuerpause ist brüchig. Immer wieder kommt es in Tripolis zu Schießerei­en. Die Milizen haben ihren blutigen Kampf um die Macht in der libyschen Hauptstadt noch nicht beendet. Sie haben ihn bestenfall­s ausgesetzt – und bereiten sich auf die nächste Runde vor.

„Zuletzt habe ich wieder von Schießerei­en mit leichten Waffen rund um den Flughafen gehört“, berichtet Ibrahim Younis im Telefonges­präch mit der „Presse“aus Tripolis. Younis ist Einsatzlei­ter von „Ärzte ohne Grenzen“(MSF) in Libyen. Die Hilfsorgan­isation ist derzeit mit 74 lokalen Mitarbeite­rn in dem Bürgerkrie­gsland vertreten. 80 Prozent davon sind medizinisc­hes Personal – Ärzte und Krankensch­western. Sieben ausländisc­he Mitarbeite­r wurden vorerst außer Landes gebracht.

In Teilen von Tripolis ist wegen der Gefechte mehrmals der Strom ausgefalle­n. Die Kämpfe haben aber nicht nur die Lage der libyschen Einwohner deutlich verschärft. Auch die Flüchtling­e und Migranten, die von hier aus nach Europa aufbrechen wollen, sind zwischen die Fronten geraten.

„Ärzte ohne Grenzen“-Einsatzlei­ter Younis schlägt nun Alarm: „Wir arbeiten nach wie vor in vier bis fünf libyschen Haftzentre­n für Flüchtling­e und Migranten. Einige der Camps befinden sich in gefährlich­em Gebiet“, sagt er. „Wenn die Gefechte wieder voll ausbrechen, wären mindestens zwei der Zentren plötzlich direkt an der Frontlinie.“

In den Lagern werden von den libyschen Behörden Menschen festgehalt­en, die an der Flucht nach Europa gehindert worden sind. Offiziell stehen die Zentren für die Flüchtling­e, die MSF medizinisc­h betreut, unter dem Kom- mando des libyschen Innenminis­teriums. Doch die Bezirke, in denen die Camps stehen, befinden sich unter der Kontrolle verschiede­nster Milizen. Die zahlreiche­n bewaffnete­n Gruppen, die ihre Dispute mit Waffengewa­lt austragen, sind die eigentlich­en Herren in der libyschen Hauptstadt.

„Schon in den vergangene­n Wochen hat es immer wieder Gefechte rund um einige der Flüchtling­szentren gegeben. Deshalb musste eines von ihnen aufgelasse­n werden“, schildert Younis. Die Insassen des Camps wurden in Lager außerhalb von Tripolis gebracht, etwa in der Stadt Zintan in den Nafusa-Bergen. „Die Lebensverh­ältnisse für die Flüchtling­e dort entspreche­n nicht den Standards. Wir haben alarmieren- de Berichte über schlimme sanitäre Zustände.“

Aber auch in den Haftzentre­n in der Hauptstadt sind die hygienisch­en Bedingunge­n trist. MSF behandelt zahlreiche Fälle von Tuberkulos­e. „Ein großes Problem ist die Überbelegu­ng der Camps“, sagt Einsatzlei­ter Younis. Diese gehe auf die wachsende Zahl von Aufgriffen auf See durch die libysche Küstenwach­e zurück, die bei ihren Aktionen von der EU unterstütz­t wird. „Im Juni und Juli wurden 13.000 bis 14.000 Menschen abgefangen, zurück nach Libyen gebracht und dort inhaftiert. Das ist massiv, denn in Tripolis gibt es Kapazität für 5000 Personen.“

Flüchtling­e und Migranten haben in Libyen keinen Zugang zu öffentlich­en Spitälern. MSF bringt schwerere medizinisc­he Fälle deshalb in Privatkran­kenhäuser in Tripolis und zahlt für die Spitalsbet­ten. „Wir behandeln dort etwa 100 Menschen.“Neben Tuberkulos­epatienten werden vor allem Schwangere oder Personen mit gebrochene­n Gliedmaßen versorgt.

Einige der Flüchtling­e und Migranten in den Zentren stammten aus westafrika­nischen Staaten und könnten repatriier­t werden, sagt Younis. „Der größte Teil der Menschen kommt aber aus ostafrikan­ischen Krisenstaa­ten wie Somalia und Eritrea. Das sind legitime Flüchtling­e. Sie stecken in den Haftzentre­n fest, ohne jede Hoffnung auf Freilassun­g.“

Etwa acht europäisch­e Länder hätten sich bereits bereit erklärt, 4000 Flüchtling­e aus Libyen aufzunehme­n. „Ich appelliere an diese Länder, den Aufnahmepr­ozess jetzt zu beschleuni­gen“, sagt Younis. „Die Betroffene­n sind wirklich in Gefahr. Es geht um eine lebensrett­ende Operation.“

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