Der „totale Mumpitz“des Christian Kern
Er wollte weder ÖBB-Boss noch Kanzler noch EU-Kandidat werden: Immer wieder dementierte der SPÖ-Chef Gerüchte, die schließlich stimmten.
Wahrheit ist etwas so Kostbares, dass Politiker nur sehr sparsam damit umgehen“, soll Mark Twain einmal gemeint haben. Der US-amerikanische Schriftsteller, der auch spitzzüngige Reportagen über den österreichischen Parlamentarismus verfasst hat, wird gewusst haben, wovon er spricht.
Dabei konnte Twain, der Österreich zu Zeiten der Monarchie besuchte, Christian Kern gar nicht kennen. „Totaler Mumpitz“seien die Spekulationen darüber, dass er Kandidat bei der EU-Wahl werde, hatte der SPÖ-Chef noch Anfang September erklärt. Zwei Wochen später gab er nun bekannt, doch genau diesen Schritt zu wagen. Hat Kern eiskalt gelogen oder sich einfach nur spontan umentschieden? Es war jedenfalls nicht das erste Mal, dass er ein Gerücht vehement dementiert, das sich aber als wahr herausstellen sollte.
Wien, im Jahr 2010. Es wird darüber spekuliert, dass der bisherige Verbund-Vorstand Christian Kern an die Spitze der ÖBB wechseln könnte. Kern betont, dass am Gerücht nichts dran sei. „Ich habe kein Interesse an einem Jobwechsel“, sagt er auf eine Journalistenfrage. Eine Woche später wird der Name des neuen Bahn-Chefs bekannt: Er heißt Christian Kern.
Der Manager mit sozialdemokratischen Wurzeln bleibt ein begehrter Mann. Spekulationen über einen Wechsel in die Politik werden laut. Kern befeuert sie, hält er doch im Jahr 2011 als Bahn-Manager ein Hintergrundgespräch für Innenpolitik- und nicht für Wirtschaftsjournalisten ab. Doch Kern stellt bald klar: „Ich habe mich vor einigen Jahren entschlossen, Manager zu sein und nicht Politiker. Und das soll auch so bleiben.“
Es bleibt nicht so, auch wenn es diesmal länger bis zum Wechsel dauert. 2016 wird Kern SPÖ-Chef und Kanzler. Ein Jahr später ist Wahlkampf, Kerns Berater Tal Silberstein wird im August 2017 verhaftet. Der Kanzler erklärt, Silberstein habe im SPÖ-Wahlkampfteam „ganz sicher nur eine Nebenrolle“gespielt und nur Umfragen analysiert. Auch der Slogan „Holen Sie sich, was Ihnen zusteht“sei sicher nicht von Silberstein. „Entschuldigen Sie, aber der Mann kann kein Wort Deutsch“, sagt Kern.
Allerdings: Silberstein legt der SPÖ ganze Kampagnenkonzepte auf den Tisch (von denen jedoch wenig umgesetzt wird). Dann wird auch noch enthüllt, dass Silberstein heimlich Dirty-Campaigning gegen den politischen Gegner betrieben hat. Die Sprachbarriere ist übrigens kein Hindernis, es gibt sogar eine Dolmetscherin. Kern betont, nichts davon gewusst zu haben.