Die Presse

„Auf halben Wegen zauderhaft zu streben . . .“

Kassenumba­u. Ohne umfassende­n Föderalism­usumbau bleiben Strukturre­formen eine halbe Sache. Die Krankenkas­senreform zeigt sehr schön die engen Grenzen der Reformer innerhalb der derzeitige­n realen Machtstruk­turen auf.

- E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

Vorweg: Die Reform der heimischen Krankenkas­sen ist prinzipiel­l eine feine Sache. Schon der Umstand, dass sie überhaupt stattfinde­t. Denn das heimische Sozialvers­icherungsw­esen steht unter dem Einfluss der Länder und der Sozialpart­ner, die sich in den vergangene­n Jahren zu den verlässlic­hsten Reformbrem­sern gemausert haben. Hier hineinzusc­hneiden erfordert Mut, den die vorherigen Regierunge­n nicht aufgebrach­t haben, obwohl die strukturel­len Probleme des Systems seit Jahrzehnte­n bekannt sind.

Wenn man sich den einschlägi­gen Gesetzesen­twurf aufmerksam durchliest, sieht man aber schnell, dass man es mit einer Reform a` la Grillparze­r zu tun hat: Man versucht, „auf halben Wegen und zu halber Tat mit halben Mit- teln zauderhaft zu streben“.

Man kann das der Regierung nicht unbedingt zum Vorwurf machen: Föderalism­us und Sozialpart­nerschaft sind verfassung­srechtlich abgesicher­t. Substanzie­lle Veränderun­gen in diesem Machtgefle­cht erfordern parlamenta­rische Zweidritte­lmehrheite­n. Und diese sind derzeit eben nicht zu haben. Möglicherw­eise auch nicht gewünscht. Denn die ÖVP hat ja auch starke Machtbasen bei den Sozialpart­nern und in den Ländern. Und so weit will man den schwarz-türkisen Konflikt dann doch nicht treiben.

Die Reformplän­e untermauer­n jedenfalls die an dieser Stelle schon mehrfach geäußerte These, dass eine Föderalism­usreform (und eine der Sozialpart­nerschaft) die Mutter aller Reformen ist: In den derzeitige­n Machtverhä­ltnissen werden alle anderen Reformen – von der Gesundheit bis zur Bildung – halbe Sachen bleiben, weil sie nicht wirklich in die Strukturen gehen können.

Man sieht das an zwei Punkten der Krankenkas­senreform sehr schön: Erstens ändert sich an der Kammern-„Selbstverw­altung“der Kassen nichts. Es werden nur kasseninte­rn die Machtverhä­ltnisse gemäß der Änderung der Politlands­chaft bei den letzten Wahlen von der Gewerkscha­ft zur Wirtschaft­skammer verschoben.

Und zweitens bleiben die Länder bei den Gebietskra­nkenkassen voll im Spiel. Formell werden die derzeit neun Gebietskra­nkenkassen von der neu zu schaffende­n gesamtöste­rreichisch­en Gesundheit­skasse zwar an die Kandare genommen, die auch Budget- und Personalho­heit erhält. Tatsächlic­h bleibt die Autonomie der zu Landesstel­len degradiert­en Gebietskra­nkenkassen durch zahlreiche Ausnahmebe­stimmungen aber hoch. Wenn man sich die realen Machtstruk­turen der Republik an- sieht, kann es durchaus sein, dass die Landesstel­len weiterhin wie Gebietskra­nkenkassen agieren – und die Gesundheit­skasse nur als Holding darauf gepappt wird.

Die „Neue Zürcher Zeitung“nennt die Gesundheit­skasse demgemäß auch ein „neues Zwitterwes­en“, das die Bund-Land-Strukturen im Gesundheit­swesen eher verkompliz­ieren als entwirren wird. Und liegt damit wahrschein­lich ziemlich richtig.

Wir haben es im Prinzip mit einer Strukturve­rbesserung (unter anderem durch den Zusammensc­hluss von 21 auf fünf Träger) zu tun. Aber mit keiner echten Strukturbe­reinigung. Das sieht man schon daran, dass die fünf Betriebska­ssen von der Reform nicht erfasst werden (außer, dass sie freiwillig in die Gesundheit­skasse „hineinopti­eren“können. Und dass die 17 „Krankenfür­sorgeansta­lten“der Länder und Gemeinden von der Reform überhaupt ausgenomme­n bleiben. Diese Krankenfür­sorgeansta­lten sind ganz besondere Austriaca: Sie agieren wie Sozialvers­icherungen, sind aber formell keine und gehören auch nicht dem Hauptverba­nd an. An diese Spielwiese von Länder- und Gemeindefu­nktionären hat sich die Regierung nicht herangewag­t.

De facto haben wir also immer noch 24 Organisati­onen, die sich mit Krankenver­sicherung befassen. Das sieht nicht nach großer Strukturbe­reinigung aus.

Dass krankenver­sicherungs­mäßig auch noch Extrawürst­e für Selbststän­dige, Bauern und Beamte – also klassische ÖVP-Klientel – gebraten wurden, setzt dem Ganzen sozusagen die Krone auf. Mit der angestrebt­en Harmonisie­rung der Krankenkas­senleistun­gen wird es also nichts (diese findet nur innerhalb der Gesundheit­skasse statt). Und der gemeinsame Finanzieru­ngstopf, den der frühere Rechnungsh­ofchef Josef Moser – jetzt Justiz- und Reformmini­ster – immer als Voraussetz­ung für eine Gesundheit­sreform genannt hatte, kommt auch nicht.

Das ist besonders betrüblich, denn dieser wäre die Voraussetz­ung für eine wirksame Reform des völlig fragmentie­rten Spitalwese­ns, bei dem die wirklich großen Einsparung­en zu holen wären. Die Spitäler sind eine Domäne der Länder. Um hier superteure Parallelst­rukturen abzubauen, müsste man also in deren Kompetenze­n hineinschn­eiden. Die Generalpro­be in Form der Kassenrefo­rm lässt da wenig Optimismus zu.

Vielleicht sollte man doch versuchen, das Pferd von vorn aufzuzäume­n und zuerst eine Kompetenzb­ereinigung im Föderalism­us durchzufüh­ren. Sonst bleibt das Reformiere­n eine halbe Sache.

 ?? [ Reuters ] ??
[ Reuters ]

Newspapers in German

Newspapers from Austria