„Auf halben Wegen zauderhaft zu streben . . .“
Kassenumbau. Ohne umfassenden Föderalismusumbau bleiben Strukturreformen eine halbe Sache. Die Krankenkassenreform zeigt sehr schön die engen Grenzen der Reformer innerhalb der derzeitigen realen Machtstrukturen auf.
Vorweg: Die Reform der heimischen Krankenkassen ist prinzipiell eine feine Sache. Schon der Umstand, dass sie überhaupt stattfindet. Denn das heimische Sozialversicherungswesen steht unter dem Einfluss der Länder und der Sozialpartner, die sich in den vergangenen Jahren zu den verlässlichsten Reformbremsern gemausert haben. Hier hineinzuschneiden erfordert Mut, den die vorherigen Regierungen nicht aufgebracht haben, obwohl die strukturellen Probleme des Systems seit Jahrzehnten bekannt sind.
Wenn man sich den einschlägigen Gesetzesentwurf aufmerksam durchliest, sieht man aber schnell, dass man es mit einer Reform a` la Grillparzer zu tun hat: Man versucht, „auf halben Wegen und zu halber Tat mit halben Mit- teln zauderhaft zu streben“.
Man kann das der Regierung nicht unbedingt zum Vorwurf machen: Föderalismus und Sozialpartnerschaft sind verfassungsrechtlich abgesichert. Substanzielle Veränderungen in diesem Machtgeflecht erfordern parlamentarische Zweidrittelmehrheiten. Und diese sind derzeit eben nicht zu haben. Möglicherweise auch nicht gewünscht. Denn die ÖVP hat ja auch starke Machtbasen bei den Sozialpartnern und in den Ländern. Und so weit will man den schwarz-türkisen Konflikt dann doch nicht treiben.
Die Reformpläne untermauern jedenfalls die an dieser Stelle schon mehrfach geäußerte These, dass eine Föderalismusreform (und eine der Sozialpartnerschaft) die Mutter aller Reformen ist: In den derzeitigen Machtverhältnissen werden alle anderen Reformen – von der Gesundheit bis zur Bildung – halbe Sachen bleiben, weil sie nicht wirklich in die Strukturen gehen können.
Man sieht das an zwei Punkten der Krankenkassenreform sehr schön: Erstens ändert sich an der Kammern-„Selbstverwaltung“der Kassen nichts. Es werden nur kassenintern die Machtverhältnisse gemäß der Änderung der Politlandschaft bei den letzten Wahlen von der Gewerkschaft zur Wirtschaftskammer verschoben.
Und zweitens bleiben die Länder bei den Gebietskrankenkassen voll im Spiel. Formell werden die derzeit neun Gebietskrankenkassen von der neu zu schaffenden gesamtösterreichischen Gesundheitskasse zwar an die Kandare genommen, die auch Budget- und Personalhoheit erhält. Tatsächlich bleibt die Autonomie der zu Landesstellen degradierten Gebietskrankenkassen durch zahlreiche Ausnahmebestimmungen aber hoch. Wenn man sich die realen Machtstrukturen der Republik an- sieht, kann es durchaus sein, dass die Landesstellen weiterhin wie Gebietskrankenkassen agieren – und die Gesundheitskasse nur als Holding darauf gepappt wird.
Die „Neue Zürcher Zeitung“nennt die Gesundheitskasse demgemäß auch ein „neues Zwitterwesen“, das die Bund-Land-Strukturen im Gesundheitswesen eher verkomplizieren als entwirren wird. Und liegt damit wahrscheinlich ziemlich richtig.
Wir haben es im Prinzip mit einer Strukturverbesserung (unter anderem durch den Zusammenschluss von 21 auf fünf Träger) zu tun. Aber mit keiner echten Strukturbereinigung. Das sieht man schon daran, dass die fünf Betriebskassen von der Reform nicht erfasst werden (außer, dass sie freiwillig in die Gesundheitskasse „hineinoptieren“können. Und dass die 17 „Krankenfürsorgeanstalten“der Länder und Gemeinden von der Reform überhaupt ausgenommen bleiben. Diese Krankenfürsorgeanstalten sind ganz besondere Austriaca: Sie agieren wie Sozialversicherungen, sind aber formell keine und gehören auch nicht dem Hauptverband an. An diese Spielwiese von Länder- und Gemeindefunktionären hat sich die Regierung nicht herangewagt.
De facto haben wir also immer noch 24 Organisationen, die sich mit Krankenversicherung befassen. Das sieht nicht nach großer Strukturbereinigung aus.
Dass krankenversicherungsmäßig auch noch Extrawürste für Selbstständige, Bauern und Beamte – also klassische ÖVP-Klientel – gebraten wurden, setzt dem Ganzen sozusagen die Krone auf. Mit der angestrebten Harmonisierung der Krankenkassenleistungen wird es also nichts (diese findet nur innerhalb der Gesundheitskasse statt). Und der gemeinsame Finanzierungstopf, den der frühere Rechnungshofchef Josef Moser – jetzt Justiz- und Reformminister – immer als Voraussetzung für eine Gesundheitsreform genannt hatte, kommt auch nicht.
Das ist besonders betrüblich, denn dieser wäre die Voraussetzung für eine wirksame Reform des völlig fragmentierten Spitalwesens, bei dem die wirklich großen Einsparungen zu holen wären. Die Spitäler sind eine Domäne der Länder. Um hier superteure Parallelstrukturen abzubauen, müsste man also in deren Kompetenzen hineinschneiden. Die Generalprobe in Form der Kassenreform lässt da wenig Optimismus zu.
Vielleicht sollte man doch versuchen, das Pferd von vorn aufzuzäumen und zuerst eine Kompetenzbereinigung im Föderalismus durchzuführen. Sonst bleibt das Reformieren eine halbe Sache.