Der Kampf der Hipster gegen Amazon
Wettbewerb. Brüssel untersucht, ob Amazon Daten über seine Drittanbieter ausnützt, um ihnen selbst Konkurrenz zu machen. Die EU stützt sich auf Argumente der „Hipster Antitrust“-Bewegung, die die Techgrößen am liebsten zerschlagen will.
Zugegeben, eine gewisse Sättigung ist erreicht: Nach Microsoft, Facebook und Google nimmt die EU-Kommission nun auch Amazon wegen mutmaßlichen Missbrauchs seiner Marktmacht in die Mangel. Konkret geht Brüssel der Frage nach, ob der weltgrößte Internethändler die Verkaufsdaten Tausender Drittanbieter auf dem Amazon-Marketplace ausnützt, um ihnen dann mit ähnlichen Waren selbst Konkurrenz zu machen.
Aufgebracht wurde „Amazon’s Antitrust Paradox“von der amerikanischen Rechtswissenschaftlerin Lina Khan. Das Geschäftsmodell des Milliardenkonzerns berge den strukturellen Interessenkonflikt zwischen Amazon, der Handelsplattform, und Amazon, dem Onlinehändler, in sich.
Das ist kein reines AmazonProblem. Auch Google und Facebook nützen das Wissen über die Daten ihrer Kunden nur allzu gern aus, um sich selbst einen Vorteil zu verschaffen. So sammelt Facebook etwa über seine DatenschutzApp (!) Onavo Tonnen an Nutzerdaten und ist so schnell darüber informiert, aus welchen Onlinetrends Konkurrenten erwachsen könnten. Beispiele dafür sind Instagram und WhatsApp, zwei soziale Netzwerke, die sich Facebook – dank des Datenvorsprungs – rechtzeitig einverleiben konnte. Erst vor Kurzem warf Apple die Onavo-App wegen ihrer Datensammelwut aus dem App Store.
Geschichten wie diese sind Wasser auf die Mühlen einer breiteren Bewegung in den USA, die ein stren- geres Vorgehen gegen die Quasimonopolisten im Netz fordern. Bekannt unter dem Namen „Hipster Antitrust“sammeln sich hier Autoren, Professoren und Aktivisten mit einem gemeinsamen Ziel: Die Wettbewerbshüter sollen den Laissez-faire-Stil der vergangenen Jahrzehnte über Bord werfen und sich ihrer Wurzeln Anfang des 20. Jahrhunderts besinnen. Damals gingen die Regulatoren hart gegen große Monopole im Energie- oder Transportsektor vor. Auch die Mittel von damals wären den „Hipstern“gerade recht: die Zerschlagung der Monopole.
Amazon müsste das Geschäft als Handelsplattform von jenem als Händler trennen. Google müsste YouTube abgeben, das für sich schon die zweitgrößte Suchmaschine ist. Und Facebook wäre Instagram und WhatsApp wieder los. Bei den Politikern in Europa und den USA fallen diese Ideen zunehmend auf fruchtbaren Boden.
Viele Ökonomen sehen darin allerdings keine langfristige Lösung, weil die Netzwerkeffekte im Internet bald wieder ein dominierendes Unternehmen hervorbringen würden. Der Deutsche Justus Haucap ist so ein Fall: „Wir müssen nicht die ganz große Keule auspacken und die Unternehmen auseinanderrupfen“, sagt der Monopolexperte zur „Presse“. Schließlich dürfe Google dann auch kein Google Maps mehr anbieten und das Wetter nicht mehr anzeigen. „Ist das wirklich im Sinn der Verbraucher?“, fragt Haucap und fordert stattdessen leichteren Zugang für Dritte zum Datenschatz der großen Techkonzerne. Besser als eine Zerstückelung beliebter Dienste sei, sicherzustellen, dass sie einander selbst ausreichend Konkurrenz machten.
Der „Hipster Antitrust“-Bewegung“reicht das nicht aus. Zu einfach könnten Onlineriesen an sich tote Geschäftszweige wie das soziale Netzwerk Google+ weiterlaufen lassen, um Wettbewerb vorzugaukeln. Sie halten an der Aufspaltung der Internetriesen fest. Vielleicht genügt aber schon die glaubhafte Drohung, um die Machtverhältnisse im Netz wieder etwas zurechtzurücken. Auch IBM und Microsoft wurden in den 1960er- bzw. 1990er-Jahren letztlich nicht zerschlagen, mussten aber große Zugeständnisse machen: IBM öffnete sich für unabhängige Softwareentwickler. Und Microsoft gab der Konkurrenz erstmals Einblicke in das Innenleben von Windows.