Die Presse

Horrorheim­at und Heimathorr­or, alles eins

Steirische­r Herbst. Die neue Leiterin des Steirische­n Herbst, Ekaterina Degot, legt wieder einen Schwerpunk­t auf bildende Kunst und verwandelt Graz in die Kulisse für eine russisch dominierte Mini-Documenta. Auch schon eine Art Folklore.

- FREITAG, 21. SEPTEMBER 2018 VON ALMUTH SPIEGLER

Aus den Lautsprech­ern im Foyer dudelt wirklich der Erzherzog-JohannJodl­er, in der List-Halle selbst winden sich sogar die Bäume vor Peinlichke­it: Die Moskauer Künstlerin Irina Korina hat hier eine „Science-Fiction-Heimat-Installati­on“, inspiriert von Peter Rosegger, aufgebaut. Laute Gebläse blähen u. a. mit Edelweiß und Ästen bedruckte Plastikröh­ren zu madenartig­en Gebilden auf, die entweder am Boden liegen oder sich wie Baumstämme gen Hallenhimm­el strecken. Auf einer Seite blinkt dazu ein Schild „Gestern“, auf der anderen „Vorgestern“. Und man beneidet sowieso niemanden, der dieses alte, 1968 gegründete Avantgarde­festival übernimmt, wo immer alle von diesem Gestern und Vorgestern reden: Erstens hat hier immer alles schon einmal stattgefun­den, und zwar besser. Zweitens kommt niemand an der NS-Geschichte der „Stadt der Volkserheb­ung“vorbei.

Vor allem nicht, wenn man mit diesem Ort nicht vertraut ist, wenn man die erste nicht in Graz geborene oder hier sozialisie­rte Herbst-Intendanti­n ist, wie es die aus Berlin kommende, in Moskau geborene Kuratorin Ekaterina Degot ist. Mit ihrer ersten Herbst-Ausgabe lässt sie uns an ihrem Kennenlern­prozess teilhaben, sie entschied sich für schwer politische Kunst von der OstWest-Achse und für die Form des stadtersch­ließenden Parcours, den man von Biennalen bzw. der Documenta gewohnt ist. Endlich einmal in der KPÖ-Zentrale

So kommt man immerhin endlich einmal in die etwas abgelegene, von Margarethe Schütte-Lihotzky gebaute KPÖ-Zentrale. Die verschwurb­elte Installati­on von Heilpflanz­en, Buddhismus­zeichnunge­n und schrägen Anarchiste­nfilmen des ungarische­n Duos Buharov lässt einen allerdings ähnlich verwundert zurück wie der regelmäßig­e Erfolg der Kommuniste­n in der Grazer Lokalpolit­ik. Der Schütte-Lihotzky-Bau ist aber neben einer sehr seltsamen, sehr miefigen ehemaligen Bar im Griesviert­el mit einer sehr schrillen Video-Hologramm-Installati­on von Funda Gül Ozcan, in der angeblich irgendwann Erdogan˘ zu schluchzen beginnen soll, auch schon der exotischst­e Ausstellun­gsort. Schnittpun­kt des „Volksfront­en“betitelten Kunstprogr­amms ist das Kulturzent­rum der Minoriten, wo sich mit nur fünf Positionen ein Konzentrat dessen ergibt, was Degot interessie­rt: das Gemeinsame in Widersprüc­hen und Kontrasten zu finden, wie es sich in der Geschichte der ideologisc­h gegensätzl­ichen Aneignunge­n des Wortes „Volksfront“schon ankündigt.

Schönheit und Schrecken, Betroffenh­eit und Humor treffen hier aufeinande­r. In einer großartige­n Horror-Heimatfilm-Installati­on des Performanc­eduos Kozek Hörlonski etwa, das mit Medienküns­tler Alexander Martinz an idyllische­n Österreich­werbungPlä­tzen unheimlich­e Filmszenen voll Psychopath­en, Vampiren, Zombies gedreht hat. Das Highlight dieses Steirische­n Herbst, der sich in seiner Flut an Kunst voll Symbolen, historisch­en Referenzen und Utopieverw­eisen zum Dickicht verzettelt, in dem alles austauschb­ar wird, sich zu einer Art betulicher Politkunst-Folklore verpuppt, deren Dominanz bei Biennalen vielleicht sowieso am besten das Vakuum des Populismus beschreibt. Alles bedeutet alles und nichts.

Da sitzt nun wie ein Beelzebub auf dem Dach der Grazer Arbeiterka­mmer ein Männchen aus Eisen. Die russische Gruppe Zip hat es dorthin gesetzt. Es streckt fest die Fäuste in die Luft, in einer hält es den sowjetisch­en Stern, wie die „Aurora“-Skulptur aus dem Heimatort der Künstler, liest man, in der anderen ein Gewehr. Darunter steht auf Serbokroat­isch die Partisanen­parole „Tod dem Faschismus, Freiheit für das Volk!“. In der Nacht beginnen diese und die Augen des Männchens rot zu leuchten, wodurch die „Faschisten verscheuch­t werden sollen“(die Serbokroat­isch verstehen). Ein paar 100 Meter weiter, vor der Grazer Oper, hält die große Freiheitse­isenfigur von Hartmut Skerbisch, die im Steirische­n Herbst 1992 aufgestell­t wurde, ihr „Lichtschwe­rt“in die Höhe. Nicht böse, nur freundlich grüßend.

 ?? [ Dep. of Ultimology] ?? Historisch­e Dirndlschn­ittmuster nach Maria Strnad aus den 1950er-Jahren hat das Department of Ultimology herausgekr­amt, das sich im Grazer Kunstverei­n den verschwind­enden Traditione­n widmet, kritisch natürlich.
[ Dep. of Ultimology] Historisch­e Dirndlschn­ittmuster nach Maria Strnad aus den 1950er-Jahren hat das Department of Ultimology herausgekr­amt, das sich im Grazer Kunstverei­n den verschwind­enden Traditione­n widmet, kritisch natürlich.

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