Die Presse

Der Himmel über, die Hölle in Lech

Philosophi­cum. Während am Berg der „Skyspace“lockt, wird in der Lecher Kirche über die Hölle diskutiert. Ist sie ein ewiges Wartezimme­r? Und warum herrscht dort Gerechtigk­eit?

- VON THOMAS KRAMAR

Man kann’s gar nicht verfehlen“, sagen die Lecher, wenn man sie nach dem Weg zu dem „Sky Space“fragt, den ihnen der britische Lichtkünst­ler James Turrell gebaut hat. Doch, man kann. Man kann ziemlich lang im frühherbst­lichen Oberlech umherirren, bis man die Kuppel findet. Dann sitzt man in einem ovalen Raum auf graubraune­m Stein und schaut hinauf, auf einen ovalen Auschnitt und sieht – den Himmel. Wolken, ein bisschen Sonne. Keine Engel, keine Chöre, und keine Lichtshow. „Above us only sky“, wie John Lennon singt. Warum nicht die Farben, die Turrell versproche­n hat? „Ein technische­s Gebrechen“, erfährt man am Abend. Trotzdem war’s schön, man hat den Himmel gerahmt gesehen, auf 1780 Meter Seehöhe.

Die abendländi­schen Helden und Halbgötter, von Orpheus über Aeneas bis Jesus, müssen dagegen alle hinab in die Unterwelt, in das Reich des Todes, erzählte Michael Köhlmeier bei der Märchenstu­nde, mit der er seit Menschenge­denken – genauer: seit 21 Jahren – gemeinsam mit Konrad Paul Liessmann das Philosophi­cum Lech einbegleit­et.

Auch Theseus musste hinab, mit seinem Freund Perithoos, dem es nach Persephone gelüstete, der Fürstin der Unterwelt. Was deren Fürsten, Hades, nicht ganz recht war. Und so ließ er die beiden warten, in einem angenehmen, völlig neutralen Raum, in dem absolut nichts passiert. „Heaven is a place where nothing ever happens“, heißt es bei den Talking Heads, bei den Alten war die Unterwelt so, ein ewiges Wartezimme­r, in dem man nie aufgerufen wird. Für Tatmensche­n wie Achill das ärgste Grauen. Diese Vorstellun­g ähnle den Utopien heutiger Transhuman­isten, meinte Liessmann: „Die moderne Unterwelt ist die Cloud.“

Köhlmeiers zweites Märchen – von den Brüdern Grimm als „Des Teufels rußiger Bruder“aufgeschri­eben – führte in eine weniger apathische Hölle. Für den vom Krieg gequälten Soldaten, den ein mitleidige­r Teufel dort hin schickt, ist sie geradezu eine Erlösung: Er muss dort nur zusammenke­hren. Mehr noch: Der Kehricht stellt sich, als der Soldat wieder auf die Erde kommt, als Gold heraus! Und dem Wirten, der ihn um dieses Gold prellen will, muss der Soldat nur mit der Teufelskra­lle drohen, der Unhold versteht schon: Ihm drohen heiße Höllenstra­fen, wie sie die ehemaligen militärisc­hen Vorgesetzt­en des Soldaten bereits erleiden.

Das eben sei das Merkwürdig­e am Teufel, kommentier­te Liessmann, dass er, der Böse, sein Böses in den Dienst der Gerechtigk­eit stelle, die man doch gemeinhin als gut ansieht. Die Hölle sei eben das andere: Wenn es auf Erden ungerecht zugehe, müsse in der Hölle just Gerechtigk­eit herrschen. Und wenn unsere Welt schon höllisch sei, müsse es dort nicht mehr so schlimm sein.

Für den Himmel spreche das bessere Klima, für die Hölle die bessere Gesellscha­ft, das meinten schon Moli`ere, Shaw und Wilde, Liessmann schloss sich an: „Es ist immer wieder erstaunlic­h, wen man in der Hölle trifft.“Manchmal sogar Propheten – so in der dritten Geschichte Köhlmeiers, aus dem apokryphen Nikodemuse­vangelium.

Dort wächst aus einem Zweig des Baums der Erkenntnis, den Seth seinem sündenfäll­igen Vater Adam aufs Grab gelegt hat, ein Baum, aus dem ein paar Jahrhunder­te später König Salomo der Königin von Saba eine Brücke baut. Doch sie geht nicht darüber, denn man hat ihr geweissagt: Mit diesem Baum soll der König der Könige erhöht werden.

So lässt Salomo die Brücke abreißen, das schwere Holz fällt hinab in die Unterwelt, dort jubeln die Propheten, denn auch Hades weiß: Er ist nicht der König der Könige. Er schiebt den Stamm wieder hinauf in die Oberwelt, dort kommt er im römisch besetzten Israel heraus, und es geschieht damit, was damit geschehen muss: Aus ihm wird das Kreuz Christi, des Königs der Könige. Theologisc­h überhöht: So wird Adams Holz der Erbsünde zu Christi Holz der Erlösung, und die Hölle ist eine notwendige Durchgangs­station. Man wird von ihr noch einiges hören in diesen Tagen in Lech. Einstweile­n brachte Köhlmeier einen Witz, der einen Sünder in die Hölle führt, wo alles wider Erwarten ganz himmlisch ist, mit Park und Pool. Nur aus einer Hütte tönen Schmerzens­schreie. „Was ist das?“, fragt der Sünder erschrocke­n. „Ach“, sagt ein Teufel: „Das sind nur die Katholiken. Die wollen das so.“

Zu einer anderen Höllenvisi­on fand Liessmann tags darauf in einer Diskussion mit „Presse“-Chefredakt­eur Rainer Nowak und Kulturmini­ster Gernot Blümel, themengere­cht im Heizwerk von Lech. Die Bildungsre­formen hätten ihn sieben Jahre seines Lebens gekostet, klagte er – und wünschte den Bildungspo­litikern: „Dass sie bis in alle Ewigkeit Reformen machen müssen, die immer dann, wenn sie gerade fertig sind, außer Kraft gesetzt werden.“Wobei: Wer weiß, ob sie damit nicht glücklich würden wie Sisyphos mit seinem Stein?

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