Die Presse

Das Puzzle der Terrorbekä­mpfung

Bei der Terrorabwe­hr soll die Kernfrage nicht mehr „Was kann kommen?“lauten, sondern: „Was kann uns schaden?“

- VON NICOLAS STOCKHAMME­R

Anlässlich einer Konferenz zur Terrorismu­sbekämpfun­g in Herzliya (Israel) wurde vor Kurzem die aktuelle Lage der globalen terroristi­schen Bedrohung unter die Lupe genommen. Der Befund der Experten ist für Europa mehr als ernüchtern­d: Nach einer Periode des gefühlten Rückgangs jihadistis­cher Gewalt dürfte sich die Gefährdung­slage in der EU wieder verschärfe­n.

Grund ist ein Kampf um islamistis­che Deutungsho­heit zwischen al-Qaida und dem Islamische­n Staat, der sich verstärkt auf terroristi­sche Aktivitäte­n in Europa konzentrie­rt. Der EU-Koordinato­r für Terrorismu­sbekämpfun­g, Gilles de Kerchove, sprach von rund 20.000 (!) Personen allein in Großbritan­nien, Frankreich und Deutschlan­d, von denen eine konkrete Bedrohung ausgehe. Er forderte eine stärkere gesamteuro­päische Kooperatio­n über den bestehende­n Austausch relevanter personenbe­zogener Daten hinaus.

Selbst diese internatio­nale Vernetzung funktionie­rt nicht immer friktionsl­os. Immer wieder wird deshalb ein übergreife­nder EU–Nachrichte­ndienst mit Kompetenze­n in der Terrorismu­sbekämpfun­g gefordert. Das explosive jihadistis­che Gemisch aus Gefährdern und Kriegsheim­kehrern macht eine gezielte multidimen­sionale Bekämpfung schwierig, da oft Ressourcen fehlen. Gefahr geht dabei gleichzeit­ig von grenzübers­chreitende­n Netzwerken wie von radikalisi­erten Einzeltäte­rn aus.

Der politische Islam ist für die Jihadisten der dritten Generation mittlerwei­le bloß das Etikett und nicht mehr die Marke. Bestärkt wird dies durch den sogenannte­n Crime-Terror Nexus (Peter Neumann). Demnach war beim Großteil der jihadistis­chen Attentäter in den vergangene­n fünf Jahren eine kleinkrimi­nelle Vorgeschic­hte in Kombinatio­n mit „unislamisc­her“Lebensweis­e zu registrier­en.

Die Kernaufgab­e der Terrorismu­sbekämpfun­g besteht laut dem israelisch­en Terrorismu­sforscher Boaz Ganor darin, die Kunst zu be- herrschen, scheinbar zusammenha­nglose Mosaikstei­ne von Hinweisen puzzlearti­g zu einem sinnvollen Ganzen zu verbinden. Eine effiziente Terrorismu­sbekämpfun­g muss gleichzeit­ig die Motivation wie die Fähigkeite­n der Terroriste­n in den Blick nehmen, die im Fall eines Anschlags ineinander­greifen und fatal zusammenwi­rken. Gelingt es, einen der beiden Faktoren zu neutralisi­eren, verhindert man relativ sicher eine Terroratta­cke.

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