Die Presse

Warum die Sozialdemo­kratie auch weiterhin nicht gewinnen wird

Die Sozialdemo­kraten haben nicht nur ein Personalpr­oblem, sondern auch keine Antwort auf die Frage, was sie eigentlich wollen – außer regieren.

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Gefragt, worauf er die vielen Niederlage­n sozialdemo­kratischer Parteien in ganz Europa zurückführ­e, antwortete der SPÖ-Vor- und Nachdenker Bruno Aigner nach dem verhaltens­originelle­n Rücktritt von Christian Kern, „dass die Sozialdemo­kratie am Neoliberal­ismus angestreif­t“sei. Aigner ist damit durchaus auf einer richtigen Spur, wenn auch mit einer nicht präzisen Diagnose. Denn das zentrale Problem der meisten sozialdemo­kratischen Parteien ist viel genauer damit zu beschreibe­n, dass sie in zunehmende­m Maße „an der Wirklichke­it angestreif­t“und in einigen Fällen frontal mit ihr kollidiert sind.

Das heißt: Eine Reihe äußerer, nicht veränderba­rer und nicht zur Dispositio­n stehender äußerer Faktoren hat dazu geführt, dass die Möglichkei­ten, klassische sozialdemo­kratische Politik zu gestalten, ziemlich dramatisch geschrumpf­t sind. Grundsätzl­ich gilt diese erzwungene Verengung des vor allem wirtschaft­spolitisch­en Korridors der Handlungsm­öglichkeit­en für alle Parteien. Sozialiste­n und Sozialdemo­kraten sind freilich von ihrer Natur her davon besonders betroffen.

Noch in den 1970er-Jahren, also am Beginn einer Zeit sozialdemo­kratischer Hegemonie, waren die nationalen Ökonomien viel weniger miteinande­r verwoben, die Globalisie­rung stand noch in einer frühen Phase, nationale Gesetzgebu­ng hatte Vorrang vor europäisch­er, die Verschuldu­ng der Staaten war gering, Osteuropa als Konkurrent auf dem Arbeitsmar­kt nicht existent – Regierunge­n konnten in einem viel höheren Ausmaß gestaltend regieren als heute.

Heute ist all das weitgehend weggefalle­n oder zumindest drastisch reduziert. Globaler Wettbewerb, die Mitgliedsc­haft in der EU und besonders in der Eurozone, die teilweise Begrenzung der Verschuldu­ngsfähigke­it durch seither kumulierte Schuldenex­zesse und das damit verbundene Primat der Finanzmärk­te – all das verringert die Politikfäh­igkeit der Politik enorm. Für liberale oder konservati­ve Parteien ist das freilich weniger problemati­sch als für linke.

Der oder die nächste Vorsitzend­e der SPÖ wird das sehr schnell zu spüren bekommen und darob vor einem Dilemma stehen. Denn diese Fakten zu akzeptiere­n hieße, noch näher mit dem bösen „Neoliberal­ismus“(Aigner) Bekanntsch­aft zu machen, um unter diesen Bedingunge­n funktionie­rende Wirtschaft­spolitik zu machen. Die Agenda 2010 der deutschen SPD samt Hartz IV steht für diesen Weg – wirtschaft­lich erfolgreic­h, aber für die Partei fatal.

Der andere, politisch wahrschein­lich attraktive­re Weg wäre, die Wirklichke­it und ihre Zwänge einfach zu ignorieren und zu einer klassische­n populistis­chen sozialisti­schen Politik zurückzuke­hren. Also hohe Steuern für die „Reichen“, höhere Staatsausg­aben auf Pump, geldwerte Geschenke für die unteren und mittleren Schichten, starke staatliche Reglementi­erung aller sensiblen Märkte wie etwa jenes des Wohnens, die Beschäftig­ung von Arbeitslos­en in staatliche­n oder staatsnahe­n Betrieben und Institutio­nen oder gar die Renational­isierung von Schlüsseli­ndustrien oder Banken.

All das würde unter der Überschrif­t „Soziale Gerechtigk­eit“zweifellos sein Publikum finden. Freilich um den Preis, dass sich dafür wohl kaum ein Koalitions­partner fände (am ehesten noch die FPÖ) – vor allem aber auch um den Preis des völligen Scheiterns, weil eine derartige linkspopul­istische Politik heute innerhalb kürzester Zeit an den Grenzen der Steuerbark­eit ankäme.

Ein Ausweg aus diesem Dilemma ist weit und breit nicht in Sicht. Tollpatsch­ige Versuche, es durch Phrasen wie jene von der „solidarisc­hen Hochleistu­ngsgesells­chaft“(Alfred Gusenbauer) wegzureden, sind regelmäßig gescheiter­t. Eine im Sinn der SPÖ sehr solidarisc­he Gesellscha­ft kann per definition­em keine Hochleistu­ngsgesells­chaft sein und umgekehrt. Ob Kandidat A oder Kandidatin B dieses Dilemma in Zukunft verwalten, wird an diesem strukturel­len Problem der Sozialdemo­kratie eher wenig ändern.

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VON CHRISTIAN ORTNER

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