Die Presse

Große Töne aus dem digitalen Frühmittel­alter

Hoffnungsl­ose Nachzügler träumen von der digitalen Aufholjagd.

- Josef.urschitz@diepresse.com

Ö sterreich muss in Sachen Digitalisi­erung an die europäisch­e Spitze“, sagten Vertreter der Regierung und der Mobilfunkn­etzbetreib­er vor ein paar Tagen bei einem Kongress in Wien. Große Worte, die man jetzt öfter hört.

Österreich hinkt in Sachen Breitbanda­usbau hinterher, die viel gepriesene „Breitband-Milliarde“des Bundes werde viel zu zögerlich ausgenutzt, sagt der Rechnungsh­of.

Ersteres ist Propaganda, Zweiteres die traurige Realität. Während China, Südkorea, die USA und, ja, Ruanda gerade dabei sind, die ultraschne­lle 5G-Mobilfunkt­echnologie kommerziel­l verfügbar zu machen, ist in Österreich (und übrigens auch in Deutschlan­d) nicht einmal die aktuelle Vorgängerg­eneration 4G (LTE) wirklich flächendec­kend nutzbar. Da träumt also ein Nachzügler vom Marathonsi­eg.

Das ist wohlstands­gefährdend: 5G ist die Voraussetz­ung für das Internet der Dinge: Industrie 4.0, Telemedizi­n, vernetzte, selbstfahr­ende Autos, um drei Beispiele zu nennen, setzen das superschne­lle Internet voraus. Ein Bremsbefeh­l, der verspätet eintrifft, führt eben leider zum Crash.

Die Politik scheint das noch nicht mit der nötigen Dringlichk­eit zu begreifen. Vor allem in Deutschlan­d, das ja selbst im Vergleich zu Österreich noch in der Digital-Antike steckt. Dort hat soeben der Kanzleramt­schef öffentlich verkündet, dass es 5G auf absehbare Zeit wohl nur in Ballungsze­ntren geben werde: Ein Vollausbau sei „unfassbar teuer“, also „nicht realistisc­h“. Die führende Wirtschaft­snation Europas koppelt sich also von der digitalen Zukunft ab, das Autoland schlechthi­n wird so wohl auch beim autonomen Fahren zum Nachzügler werden. Mehr muss man über die wirtschaft­lichen Zukunftsau­ssichten Europas nicht wissen. I m kommenden Frühjahr werden in Österreich und Deutschlan­d erst die 5G-Lizenzen versteiger­t, während anderswo bereits die ersten Netze online gehen. Vielleicht sollte man dazu doch noch China Mobile und Korea Telecom einladen. Und die zuständige­n Politiker zu Digitalsem­inaren nach China, Korea und eventuell auch Ruanda schicken. Damit sie sehen, wie digitale Zukunft wirklich geht.

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