Teures Paket für billiges Wohnen
Deutschland. In der Bundesrepublik gibt es zu wenig Wohnraum – vor allem zu wenig bezahlbaren Wohnraum. Die Regierung investiert fünf Milliarden Euro, auch in ihr Image.
Manchmal muss man alte Sprichwörter nur etwas umwandeln, um sie auf die heutigen Probleme anzuwenden: Das Gras des Nachbarn spielt in Großstädten ja eher eine zweitrangige Rolle, doch die Miete wirkt auf der anderen Seite der Grenze immer billiger. Jahrelang wurde in Österreich von den günstigen Wohnungen in der deutschen Bundeshauptstadt geschwärmt. Aus Berlin reisen hingegen ganze Delegationen von Experten nach Wien, um sich ein Beispiel an der Wohnpolitik zu nehmen.
Gestern, Freitag, kamen schließlich die wichtigsten Entscheidungsträger im deutschen Bundeskanzleramt zusammen. Regierungschefin Angela Merkel (CDU) lud zu einem Wohnungsgipfel. Als Ergebnis kündigte sie wenig bescheiden ein Lösungspaket an, „das seinesgleichen sucht“. Es sollte laut der Regierung einer der wichtigsten politischen Termine des Jahres werden. Immerhin sei das Thema Wohnen „die soziale Frage unserer Zeit“, meinte Horst Seehofer (CSU) – der neben Migration, Integration, Sicherheit und Heimat eben auch für Wohnbau zuständig ist.
Denn in den deutschen Ballungsräumen spitzt sich die Lage immer weiter zu. Es gibt zu wenig Wohnraum, und es gibt vor allem zu wenig leistbaren Wohnraum. Die Bundesrepublik bereut, städtische Wohnungen verkauft zu haben: Allein in den Jahren um die Jahrtausendwende wurden mehr als 300.000 von ihnen veräußert. In Dresden, rechnet die „Süddeutsche Zeitung“vor, wurden 2006 alle 48.000 Immobilien der Stadt für eine Milliarde Euro an einen amerikanischen Hedgefonds abgegeben.
Während die Anzahl der Sozialwohnungen abnimmt (2016 gab es 1,2 Millionen davon, 1990 waren es noch doppelt so viele), steigen die Preise: Die Angebotsmieten (also der Durchschnittspreis aus allen aktuell angebotenen Vergleichsobjekten) kletterten zuletzt im Bundesschnitt mehr als doppelt so schnell in die Höhe wie die allgemeine Inflation. Im ersten Quartal wurden die Neumieten um 5,5 Prozent erhöht, während die Inflation 1,5 Prozent betrug. Auch in allen vier Quartalen des Jahres 2017 stiegen die Neumieten jeweils viel stärker als die Teuerungsraten.
Soweit zum Problemaufriss. Und was ist nun die Lösung? Für die deutsche Bundesregierung sind es – für den Anfang – rund fünf Milliarden Euro. So viel Geld soll bis 2021 in die Förderung des sozialen Wohnbaus investiert werden. In den Bundesländern sollen so in den kommenden drei Jahren mehr als 100.000 neue Sozialwohnungen entstehen. Das sei „verdammt viel Geld“, meinte Justizministerin Katarina Barley (SPD). Apropos: Auch das Wohngeld für die einkommensschwache Bevölkerung soll ab 2020 erhöht werden. Derzeit beziehen rund 600.000 Haushalte diese Hilfe.
Neben den Mietern sollen auch die Eigentümer finanziell entlastet werden. Bauherren können ihre Aufwendungen bei erschwinglichen Mietwohnungen über eine Sonderabschreibung in Zukunft besser von ihrer Steuerlast absetzen. Außerdem will der Bund eigene Grundstücke vergünstigt an die Kommunen für Bauzwecke abgeben. Wobei: Viele dieser Beschlüsse müssen im Detail erst ausverhandelt und fixiert werden.
Der Wohngipfel kommt für viele zu spät – am vergangenen Wochenende gingen rund 10.000 Münchner gegen teure Mieten auf die Straßen. Für die Regierungsparteien dann aber doch zu einem guten Zeitpunkt: In Bayern wird am 14. Oktober ein neuer Landtag gewählt, vor allem CSU und SPD setzen dabei auf das Thema Wohnen. Für die Christsozialen geht es immerhin um die absolute Mehrheit. Zwei Wochen später ist Hessen an der Reihe. Dort regiert die CDU derzeit noch mit den Grünen, eine solche Regierungskonstellation dürfte sich allerdings nicht mehr ausgehen. Auch hier wollen vor allem die Sozialdemokraten mit einem Wohnpaket Stimmen sammeln.
Im Bund hat die Regierung ohnehin dringend gute Nachrichten nötig. Sie steckt wieder in einer tiefen Krise, dieses Mal wegen des umstrittenen Verfassungsschutzchefs, Hans-Georg Maaßen. Der Koalition wird vorgeworfen, sich zu wenig um Sachpolitik zu kümmern. Tatsächlich waren für den Gipfel am Freitag nur drei Stunden vorgesehen. Die Verhandlungen über einen neuen Posten für Maaßen hatten gleich zwei Abende der Regierungsspitze in Anspruch genommen – und sind noch nicht zu Ende.