Kaffeepreis im Fall: Wenn die Tasse nicht zum Leben reicht
Reiche Ernte und eine polarisierende Wahl lassen den Preis für Kaffee auf Zwölf-Jahres-Tief fallen. Spekulanten beschleunigen die Spirale.
Wer in Österreich eine Melange bestellt, merkt keinen Unterschied. Qualität und Preis sind stabil. Kaffeetrinker haben wohl auch nicht bemerkt, dass die Bauern, die die Bohnen für ihre Melange geliefert haben, diese Woche einen Hilferuf an die großen Kaffeeketten losschickten. Allen voran Nestle,´ das Reimann-Imperium JAB und Starbucks waren angesprochen: Sie müssten existenzsichernde Preise zahlen. Die Lage sei verzweifelt, betonten die Vertreter der Anbauländer. Sie erzählten von Emigrationsströmen, von Kaffeefarmern, die auf Kokainanbau umgestiegen sind, und von sozialen Spannungen.
Der Grund der Warnung lässt sich an einem Börse-Chart nachlesen: Der Preis für Rohkaffee ist im freien Fall. Diesen September hat er sein Tief von 2006 erreicht. Am international tonangebenden New Yorker Rohstoffhandelsplatz ist ein Pfund Arabica-Kaffee nicht einmal mehr einen Dollar wert. Irgendwo zwischen 1,30 und 1,40 Dollar sind die Anbaukosten je nach Land noch gedeckt. Zurzeit ist Kaffee ein Minusgeschäft für die Bauern.
Was der Grund dafür ist? Der Weltmarkt für Kaffee ist grundsätzlich immer in Bewegung, dafür sorgen Klima- und Währungsschwankungen. Zwecks größerer Preisstabilität war schon in den 1960er-Jahren ein internationales Kaffeehandelsabkommen geschlossen worden. Interessenkonflikte zwischen den Vertragsländern führten aber dazu, dass es 1989 wieder gekippt wurde.
Aktuell setzen den Bauern drei Faktoren zu. In Brasilien und Vietnam, wo insgesamt mehr als die Hälfte des Kaffees produziert wird, gibt es extrem starke Ernten. Das drückt die Preise. Der weltgrößte Kaffeeexporteur Brasilien wird darüber hinaus wie andere Schwellenländer gerade von einer Währungskrise gepackt, und im Oktober stehen dort umstrittene Präsidentschaftswahlen ins Haus.
Der brasilianische Real wertete angesichts der wirtschaftlichen und politischen Unsicherheit stark ab – für die brasilianischen Kaffeebauern, deren Ernte in US-Dollar gehandelt wird, ist das ein zusätzlicher Anreiz, ihre Lager möglichst rasch zu leeren. Die Überkapazitäten in den Häfen und Kontoren der Welt nützen wiederum Spekulanten für ihre Börsengeschäfte. Sie wetten darauf, dass der Kaffeepreis weiter fällt.
„Der Kaffeepreis erreicht zurzeit praktisch täglich einen neuen Tiefstand“, sagt Hartwig Kirner, Chef von Fairtrade Österreich. 2011, als nach der Finanzkrise viel Geld aus den Aktienmärkten in den Rohstoffmärkten Zuflucht suchte, war ein Sack Kaffee mit 100 Pfund (gut 45 Kilogramm) 300 Dollar wert. Jetzt wird er für nicht einmal ein Drittel des Preises gehandelt. „Das ist keine gesunde Korrektur mehr. Die Situation ist prekär. Kein Bauer kann lang unter den Erzeugungskosten anbauen.“
Die Vertreter der Anbauländer wollen die Kaffeeketten daher dazu bewegen, ihnen finanziell entgegenzukommen. Sie sollen, so die Forderung, sicherstellen, dass Farmer auf zertifizierter Basis mehr als die Produktionskosten erhalten – und sie sollen beim Kunden am Ende der Kette Bewusstsein für ihre Krise schaffen.
„Was man jetzt merkt, ist, dass ein Nachhaltigkeitsprogramm, das nicht den Preis berücksichtigt, zu kurz greift“, kritisiert Kirner. Viele große Ketten hätten zwar eigene Nachhaltigkeitssiegel entwickelt. Diese inkludierten aber nicht unbedingt einen Mindestpreis, der greift, wenn der Markt crasht. Die 537 Fairtrade-Kooperativen bekommen zwar einen Mindestpreis und Prämien ausgezahlt. Das kann aber selbst in einem Fairtrade-affinen Land wie Österreich, wo das Siegel bei Röstkaffee auf einen Marktanteil von sieben Prozent kommt, allein nicht viel ändern.
Es braucht den Willen der Großen. Langsam schwenken sie ein. Nestle-´Kapseltochter Nespresso etwa hat die Zeichen der Zeit erkannt und diesen September den ersten Kaffee mit Fairtrade-Siegel ins Sortiment aufgenommen. Akuten Handlungsbedarf verspüren die Ketten aber nicht, auch weil sie sich auf Monate hinaus mit Kaffee eingedeckt haben. Damit der Preisverfall im Regal ankommt, muss das Tief auf dem Rohstoffmarkt sehr lang andauern.
Die bittere Pointe: Sobald der Preis wieder steigt, dauert es ebenso lang, bevor der Bauer auf dem Feld mehr Geld sieht, da die Abnahmeverträge mit den Händlern langfristig geschlossen werden. Die Ersten, die von einer Erholung auf dem Kaffeemarkt profitieren, sind die Spekulanten.