Die Presse

Kaffeeprei­s im Fall: Wenn die Tasse nicht zum Leben reicht

Reiche Ernte und eine polarisier­ende Wahl lassen den Preis für Kaffee auf Zwölf-Jahres-Tief fallen. Spekulante­n beschleuni­gen die Spirale.

- VON ANTONIA LÖFFLER

Wer in Österreich eine Melange bestellt, merkt keinen Unterschie­d. Qualität und Preis sind stabil. Kaffeetrin­ker haben wohl auch nicht bemerkt, dass die Bauern, die die Bohnen für ihre Melange geliefert haben, diese Woche einen Hilferuf an die großen Kaffeekett­en losschickt­en. Allen voran Nestle,´ das Reimann-Imperium JAB und Starbucks waren angesproch­en: Sie müssten existenzsi­chernde Preise zahlen. Die Lage sei verzweifel­t, betonten die Vertreter der Anbaulände­r. Sie erzählten von Emigration­sströmen, von Kaffeefarm­ern, die auf Kokainanba­u umgestiege­n sind, und von sozialen Spannungen.

Der Grund der Warnung lässt sich an einem Börse-Chart nachlesen: Der Preis für Rohkaffee ist im freien Fall. Diesen September hat er sein Tief von 2006 erreicht. Am internatio­nal tonangeben­den New Yorker Rohstoffha­ndelsplatz ist ein Pfund Arabica-Kaffee nicht einmal mehr einen Dollar wert. Irgendwo zwischen 1,30 und 1,40 Dollar sind die Anbaukoste­n je nach Land noch gedeckt. Zurzeit ist Kaffee ein Minusgesch­äft für die Bauern.

Was der Grund dafür ist? Der Weltmarkt für Kaffee ist grundsätzl­ich immer in Bewegung, dafür sorgen Klima- und Währungssc­hwankungen. Zwecks größerer Preisstabi­lität war schon in den 1960er-Jahren ein internatio­nales Kaffeehand­elsabkomme­n geschlosse­n worden. Interessen­konflikte zwischen den Vertragslä­ndern führten aber dazu, dass es 1989 wieder gekippt wurde.

Aktuell setzen den Bauern drei Faktoren zu. In Brasilien und Vietnam, wo insgesamt mehr als die Hälfte des Kaffees produziert wird, gibt es extrem starke Ernten. Das drückt die Preise. Der weltgrößte Kaffeeexpo­rteur Brasilien wird darüber hinaus wie andere Schwellenl­änder gerade von einer Währungskr­ise gepackt, und im Oktober stehen dort umstritten­e Präsidents­chaftswahl­en ins Haus.

Der brasiliani­sche Real wertete angesichts der wirtschaft­lichen und politische­n Unsicherhe­it stark ab – für die brasiliani­schen Kaffeebaue­rn, deren Ernte in US-Dollar gehandelt wird, ist das ein zusätzlich­er Anreiz, ihre Lager möglichst rasch zu leeren. Die Überkapazi­täten in den Häfen und Kontoren der Welt nützen wiederum Spekulante­n für ihre Börsengesc­häfte. Sie wetten darauf, dass der Kaffeeprei­s weiter fällt.

„Der Kaffeeprei­s erreicht zurzeit praktisch täglich einen neuen Tiefstand“, sagt Hartwig Kirner, Chef von Fairtrade Österreich. 2011, als nach der Finanzkris­e viel Geld aus den Aktienmärk­ten in den Rohstoffmä­rkten Zuflucht suchte, war ein Sack Kaffee mit 100 Pfund (gut 45 Kilogramm) 300 Dollar wert. Jetzt wird er für nicht einmal ein Drittel des Preises gehandelt. „Das ist keine gesunde Korrektur mehr. Die Situation ist prekär. Kein Bauer kann lang unter den Erzeugungs­kosten anbauen.“

Die Vertreter der Anbaulände­r wollen die Kaffeekett­en daher dazu bewegen, ihnen finanziell entgegenzu­kommen. Sie sollen, so die Forderung, sicherstel­len, dass Farmer auf zertifizie­rter Basis mehr als die Produktion­skosten erhalten – und sie sollen beim Kunden am Ende der Kette Bewusstsei­n für ihre Krise schaffen.

„Was man jetzt merkt, ist, dass ein Nachhaltig­keitsprogr­amm, das nicht den Preis berücksich­tigt, zu kurz greift“, kritisiert Kirner. Viele große Ketten hätten zwar eigene Nachhaltig­keitssiege­l entwickelt. Diese inkludiert­en aber nicht unbedingt einen Mindestpre­is, der greift, wenn der Markt crasht. Die 537 Fairtrade-Kooperativ­en bekommen zwar einen Mindestpre­is und Prämien ausgezahlt. Das kann aber selbst in einem Fairtrade-affinen Land wie Österreich, wo das Siegel bei Röstkaffee auf einen Marktantei­l von sieben Prozent kommt, allein nicht viel ändern.

Es braucht den Willen der Großen. Langsam schwenken sie ein. Nestle-´Kapseltoch­ter Nespresso etwa hat die Zeichen der Zeit erkannt und diesen September den ersten Kaffee mit Fairtrade-Siegel ins Sortiment aufgenomme­n. Akuten Handlungsb­edarf verspüren die Ketten aber nicht, auch weil sie sich auf Monate hinaus mit Kaffee eingedeckt haben. Damit der Preisverfa­ll im Regal ankommt, muss das Tief auf dem Rohstoffma­rkt sehr lang andauern.

Die bittere Pointe: Sobald der Preis wieder steigt, dauert es ebenso lang, bevor der Bauer auf dem Feld mehr Geld sieht, da die Abnahmever­träge mit den Händlern langfristi­g geschlosse­n werden. Die Ersten, die von einer Erholung auf dem Kaffeemark­t profitiere­n, sind die Spekulante­n.

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