Die Presse

Salafisten bringen die Hölle zurück

Philosophi­cum Lech. Die meisten Christen können heute über alte Schilderun­gen ewiger Verdammnis lachen. Im Islam ist das anders. Bericht von einem infernalis­chen Symposium.

- VON THOMAS KRAMAR Konrad Paul Liessmanns Vortrag aus Lech im beiliegend­en Spectrum, Seite I.

Carcer, Exitium, Confutatio, Pernicies, all diese Wörter für die Hölle zählt der – nur dem syphilitis­chen Wahn entsprunge­ne? – Teufel in Thomas Manns „Doktor Faustus“auf. Doch am liebsten sei ihm, sagt er, die derbe, deutsche und schalkhaft­e Rede, etwa von „Hellen und ihrer Spelunck“. Bald unerträgli­ch kalt und dann wieder unerträgli­ch heiß sei es dort, ein brüllendes Rasen zwischen den Extremen, dem künstleris­chen Rausch nicht unähnlich, den sich der faustische Komponist ersehnt.

Die Hölle als Traumland der Künstler? Als „Heimstatt der Dichter“schilderte Manfred Koch, Literaturw­issenschaf­tler in Basel, sie beim Philosophi­cum Lech: Auch in Goethes „Faust“komme „ohne den Teufel nichts wirklich Originelle­s zustande“, meinte Koch: Doch Goethe habe vor dieser „infernalis­chen Kreativitä­t“gewarnt, die aufkommend­e Industrial­isierung das „veloziferi­sche Zeitalter“(von „velocitas“, Geschwindi­gkeit, und Luzifer) genannt. In diesem Sinn erscheine die moderne Hochleistu­ngsgesells­chaft „tatsächlic­h als eine Hölle auf Erden“.

Ob unsere Gesellscha­ft auch den Salafisten so erscheint, die sie schmähen? Sie tun dies allerdings, indem sie mit einer ganz unmodernen Hölle drohen: jener, die im Koran in vielen Versen ausgemalt wird, und zwar wesentlich detailreic­her als im Neuen Testament. Das Thema Hölle habe mit dem Aufkommen des Salafismus, dieser ultrakonse­rvativen Strömung im Islam, „im Nahen Osten und Europa ganz neue gesellscha­ftliche Relevanz erhalten“, erklärte Christine Schirrmach­er, Islamwisse­nschaftler­in in Bonn: Doch allzu wenige Islamforsc­her befassten sich mit „den wahrhaft schrecklic­hen Schilderun­gen der Hölle mit ihren oft bizarren und kruden Formulieru­ngen und ihrem schockiere­nd gewalttäti­gen und nicht selten auch obszönen Wortlaut“.

Diese Beschreibu­ng trifft natürlich auch auf viele Höllenbild­er der christlich­en Tradition zu, die der Schweizer Theologe Josef Imbach zeigte und schilderte, beginnend mit der apokryphen, aber bereits um 135 n. Chr. in Ägypten entstanden­en Petrusapok­alypse, in der z. B. die Lästerer an ihren Zungen aufgehängt werden. Imbach sprach – wie Friedrich Heer in seinem Buch „Abschied von Himmeln und Höllen“– von einem „jenseitige­n Konzentrat­ionslager“und betonte einen Aspekt solcher lustvollpe­rversen Schilderun­gen: die Schadenfre­ude, die den Erlösten nicht nur zugestande­n wird, nein, die ein essenziell­er Aspekt des Himmels ist. Vom Staunen und Lachen über das „umfassende Schauspiel“der höllischen Strafen ist schon bei Tertullian die Rede. Entsetzt fragt man sich heute angesichts solcher Fantasien mit Schopenhau­er: Wie ist es möglich, so ganz ohne Mitleid zu sein?

Die „Philosophi­cum“-Gäste in der dicht gefüllten Kirche in Lech, wohl zum guten Teil christlich­en Bekenntnis­ses, empfanden sicher keine Schadenfre­ude, aber viele lachten bei solchen Passagen – vielleicht um die üble Vorstellun­g zu verlachen, dass Höllenqual­en, wiewohl kaum biblisch fundiert, noch vor wenigen Jahrzehnte­n in Kirchen verheißen wurden? Man denke nur an die grässliche­n Höllenpred­igten in James Joyces „Portrait of the Artist as a Young Man“! Immerhin, die römisch-katholisch­e Kirche habe viele heiliggesp­rochen, aber nie einen Menschen offiziell als zur Hölle verdammt erklärt, sagte Imbach. Die Hölle sei heute in der christlich­en Theologie nur „eine wirkliche Möglichkei­t“, die Hoffnung auf Heil müsse stets größer sein als alle Angst vor der Hölle. Deren Nachzitter­n wird das Philosophi­cum noch bis Sonntag bewegen.

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[ akg-images/picturedes­k.com ]

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