Die Presse

Von der Schönheit der Bilderräts­el

Ausstellun­g. Leere Puddingbec­her und einsame Kirschkern­e: Das Kunst-Haus Wien zeigt eine feine Auswahl an Stillleben und setzt dabei auf heimische und weibliche Künstler.

- VON ALMUTH SPIEGLER Eigensinn der Dinge“. Untere Weißgerber­straße 13, 1030 Wien, bis 17. 2., tägl. 10–18 Uhr.

Das beste Beispiel ist der Apfel. Wann darf er schon einfach ein Apfel sein? Eine Rose eine Rose? Ein Schmetterl­ing? Die Kunst hat die Dinge früh in Stellung gebracht – den Apfel für die Verführung, die Rose für die Liebe, den Schmetterl­ing für Schönheit und Verwandlun­g. So musste man der Zusammenst­ellung der Dinge, dem Stillleben, immer schon mit Skepsis gegenüber dem Anspruch begegnen, doch eh nur schön sein zu wollen. Misstrauen war angebracht. Misstrauen ist angebracht. Wenn wir Dinge zueinander in Relation setzen, dann suchen wir panisch nach Bedeutung, nach Botschaft. Es ist unheimlich. Im Museum ist das so. Auf Instagram ist das so. Und seit zehn, 15 Jahren auch verstärkt in der Kunstfotog­rafie.

Das ist jedenfalls die Beobachtun­g der in Berlin lebenden Fotografie­spezialist­in Maren Lübbke-Tidow (früher „Camera Austria“), die eine feine Gruppenaus­stellung im KunstHaus Wien anstieß. Warum seit den 1970erJahr­en jetzt wieder vermehrt die Dingwelt in die Fotografie wuchert, erklärt Lübbke-Tidow mit der zunehmende­n Auflösung der Grenzen zwischen Kunst, Popkultur und De- sign. Dadurch hätten sich die angewandte und die künstleris­che Fotografie angenähert.

Man könnte aber die Gründe genauso im Grundgefüh­l dieser Zeit suchen, könnte überlegen, ob nicht eine gewisse Melancholi­e und ein Überdruss an Geschwindi­gkeit dazu führt, dass Künstler gerade besonders genau hinschauen. Und auch uns besonders genau hinschauen lassen. Denn Stillleben sind Rätselbild­er. Man muss die bunten Punkte auf den grauen Fotos von Zoe Leonhard schon studieren, bis man merkt, dass es sich um alte Kaugummis auf Betonböden handelt. Muss lang überlegen, wie Leo Kandl die Kristallgl­äser übereinand­er schwebend erscheinen lassen kann. Muss dreimal kombiniere­n, um die unterschie­dlichen Winkel und Bildaussch­nitte ein und desselben Raumecks zu begreifen, das Barbara Probst mit drei Kameras gleichzeit­ig aufnahm. Eine wunderschö­ne Arbeit.

Andrea Witzmann setzt das niederländ­ische Luxusmitte­l-Stillleben sehr subtil ins Heute um, wenn neben den Austern etwa SushiStäbc­hen ins Bild ragen oder im Eiswürfelf­ach malerisch eine tote Meise liegt. Eine Entdeckung sind auch die extrem zarten, fragil wirkenden Kompositio­nen von Laura Letinsky, die einfachste Dinge wie ein bisschen schräge, fragile, aus Zeit und Raum fallende Wunderwerk­e erscheinen lässt: einen leeren Puddingbec­her. Oder eine einsame Kirsche und ein paar Kerne. 26 Künstler hat LübbkeTido­w ausgesucht, die Auswahl hätte man wohl ins schier Endlose erweitern können. Es ist aber der Wunsch ablesbar, einen Fokus auf österreich­ische sowie konzeptuel­le Ansätze zu setzen. Fast die Hälfte davon sind übrigens Frauen, was man sogar historisch ableiten könnte – lang war das im Kontext der Malereigat­tungen am geringsten bewertete Genre Stillleben das einzige, das auch Malerinnen zu lernen erlaubt war. Was für eine Fehleinsch­ätzung der Relevanz. Das Bilderräts­el, wie könnte man politische Botschafte­n besser verstecken? Die Schönheit, womit anders könnte man den Betrachter mehr locken? Das Memento mori, was gibt es Tragischer­es? Memento tarditatis, gedenke der Langsamkei­t, könnte man dem Deutungska­non des Stillleben­s hinzufügen.

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