Die Presse

Armin Wolf – ganz privat: In der Unterwelt der Twitteria

Ein Blick in die Twitterbla­se lässt an der Regenerier­ungsfähigk­eit des österreich­ischen Journalism­us zweifeln.

- Martin Leidenfros­t, Autor und Europarepo­rter, lebt und arbeitet mit Familie im Burgenland. E-Mails an: debatte@diepresse.com

E s mag vielen unglaublic­h erscheinen, doch schwöre ich bei meiner Ehre: Nie zuvor hatte ich die Twitterbla­se des österreich­ischen Qualitätsj­ournalismu­s betreten, hatte in sozialen Netzwerken ein Profil. Auf diese Twitteria stieß ich erst neulich, als sie einen Text von mir verurteilt­e. Sie tat das in Form eines schrillen Kreischens in einer Samstagnac­ht. Dann war es auch schon wieder vorbei. Einerseits hatte das für mich schwerwieg­ende berufliche Folgen. Anderersei­ts nahm kaum einer meiner Freunde davon Notiz, und an meiner Familie ging es vollkommen vorbei.

Twittern kommt vom Vogelzwits­chern. Mein Besuch auf Twitter erhob mich aber nicht in luftige Baumkronen, sondern ins Zwielicht einer Unterwelt. Das war eine dauerersch­ütterte Katakombe, widerhalle­nd vom gegenseiti­gen Schulterkl­opfen von Journalist­en, welche in der analogen Welt oben als Vertreter von Medien mit unterschie­dlicher Ausrichtun­g gelten. ORF, Privatfern­sehen, Redakteure verschiede­ner Zeitungen – dort unten twitterten sie alle dasselbe. Was sie in ihren profession­ellen Rollen niemals sagen dürften, sagen sie hier ohne Scheu. Ist ja privat.

Beklommen stellte ich fest, dass als Mufti dieser Unterwelt ein Mann amtiert, der den vertrauens­würdigsten Posten der österreich­ischen Medien innehat. Man kann sich nichts Unparteiis­cheres vorstellen als den Anchorman eines öffentlich-rechtliche­n Senders. Armin Wolf war in langen Auslandsja­hren eine Konstante für mich gewesen, am Anfang der „ZiB2“hatte ich mich immer auf sein Kopfwackel­n gefreut, mit dem er am Ende die Wuchtel des Tages brachte. Nun erlebte ich ihn als unduldsame­n Guru. Er und „Falter“-Chefredakt­eur Florian Klenk warfen sich viele Bälle zu. Wolf hat 403.000 Follower und Klenk 200.000. D ie FPÖ nennt diese Unterwelt „linkslink“, ich finde das falsch. Authentisc­h linke Positionen kommen kaum vor, die Weinkarte im Steirereck beschäftig­t sie mehr als das Los der werktätige­n Massen. Wenn sich einmal ein Konservati­ver hineinveri­rrt, setzt ihn der Mufti vor die Katakombe: „Sorry, aber das ist mir schade um die Zeit.“Thematisch wird die Ösi-Twitteria stark aus dem bundesdeut­schen Meinungska­nal gespeist. Sie hält politische Korrekthei­t hoch, Wolf gendert „PolizistIn­nen“, und ihre Wagenburgm­entalität hat sich so weit verfestigt, dass Corinna Milborn schon einmal suggeriere­n kann, der Mainstream liege nicht bei ihr, sondern bei „Rechtsextr­emen & Islamisten, Nationalis­ten aller Lager“, „jetzt ist die Zündelei weit in der Mitte angekommen“.

Ohne jeden Zweifel denkt die Twitteria progressiv. Progressiv­e erkennt man daran, dass sie Jahreszahl­en als Werturteil­e gebrauchen. Wenn etwa Armin Wolf zum Verdammen „Fünfzigerj­ahre“ruft, verrät er Reste eines geschichts­determinis­tischen Glaubens, demzufolge die Zukunft vielleicht nicht notgedrung­en hell, die Vergangenh­eit aber auf jeden Fall finster ist.

Mein Blick in diese einsehbare Unterwelt hat mein Vertrauen in die Regenerier­ungsfähigk­eit des österreich­ischen Journalism­us angegriffe­n. Dieser leidet ohnehin unter Vertrauens­verlust. Wann machen Redakteure mit 81.000 abgesetzte­n Tweets eigentlich ihre Arbeit? Das rasende Gezwitsche­re steht dem Anspruch von Qualitätsm­edien diametral entgegen. Dieser Anspruch würde lauten: Überprüfen, nachdenken, dann schreiben. Ich steige lieber nicht mehr in diese Welt hinunter.

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VON MARTIN LEIDENFROS­T

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