Die Presse

Richtersei­n ist eine Sache des Charakters

Der Rechtsstaa­t kann nur so gut sein wie seine Richter. Jüngste Diskussion­en rückten die Gerichtsba­rkeit in ein schiefes Licht.

- VON IRMGARD GRISS

Hitzige Diskussion­en wurden in den vergangene­n Tagen und Monaten über Kandidaten für Richterämt­er geführt. Das mag auf den ersten Blick überrasche­n, weil ja Richter Beamte sind und bei anderen Beamten keine vergleichb­are Sensibilit­ät besteht. Richter unterschei­den sich aber ganz grundsätzl­ich von anderen Beamten: Richter sind unabhängig, unabsetzba­r und unversetzb­ar.

Unabhängig heißt, jeder Richter ist vom ersten Tag an für seine Entscheidu­ngen verantwort­lich. Er kann die Verantwort­ung nicht abschieben. Niemand kann ihm vorschreib­en, wie er entscheide­t. Die Unabhängig­keit ist kein Privileg der Richter, sondern ein Vorrecht der Bürger. Sie haben ein Recht darauf, dass ihre Rechtssach­en von einem unabhängig­en Gericht beurteilt und entschiede­n werden.

Unabsetzba­r bedeutet, dass Richter nicht gegen ihren Willen aus dem Amt entfernt werden können. Außer es kommt zu einem Disziplina­rverfahren, das wegen schwerer Disziplina­rvergehen mit einer Amtsentheb­ung endet. Oder es gibt ein Dienstgeri­chtsverfah­ren, weil der Richter wegen Krankheit oder aus anderen Gründen unfähig wird, sein Amt auszuüben.

Auf einen anderen Posten können Richter nur versetzt werden, wenn sie das selbst anstreben und sich darum bewerben. Wer einmal Richter ist, bleibt es regelmäßig bis zur Pension, und er bleibt dort, wo er bleiben will. Aber nicht nur deshalb muss genau geprüft werden, ob sich jemand zum Richter eignet. Denn richterlic­he Arbeit ist mehr als bloße Anwendung von Gesetzen.

Ein ganz wesentlich­er Teil ist die Feststellu­ng des Sachverhal­ts. Das wird oft übersehen und die Bedeutung der ersten Instanz nicht richtig eingeschät­zt. Dabei muss es unmittelba­r einleuchte­n, dass eine Entscheidu­ng nur dann richtig sein kann, wenn sie auf dem wahren Sachverhal­t beruht.

Richter müssen daher herausfind­en, was tatsächlic­h geschehen ist. Ob das gelingt, hängt auch von der Persönlich­keit des Richters ab. Oft werden Richter der Wahrheit nur auf die Spur kommen, wenn sie fähig und bereit sind, sich in andere hineinzuve­rsetzen. Denn nur so werden sie den richtigen Zugang und vor allem auch den richtigen Ton finden, um von Parteien und Zeugen zu erfahren, was wirklich geschehen ist.

Ohne ehrliches Interesse für Menschen wird auch oft die Motivation fehlen, der Sache auf den Grund zu gehen. Je komplizier­ter ein Sachverhal­t, desto schwierige­r ist meist auch die Entscheidu­ng. Auch hier kommt es darauf an, in welchem Maß Richter bereit sind, sich mit der Sache wirklich auseinande­rzusetzen.

Denn Richter sind in einer Machtposit­ion. Wie sie diese Macht nutzen, hängt von ihrem

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