Die Presse

Wenn jede Bewegung schmerzt

Eine Wiener Software, die Röntgenbil­der von Kniegelenk­en befundet, könnte die Arthrosedi­agnose erleichter­n. Doch sie stößt bei Fachärzten noch auf Skepsis.

- VON MARIELE SCHULZE BERNDT

Mit zunehmende­r Lebenserwa­rtung der Bevölkerun­g wächst die Zahl der an Arthrose erkrankten Menschen. Die Kniearthro­se ist die am häufigsten auftretend­e degenerati­ve Gelenkerkr­ankung weltweit. Ursachen können eine zu starke Belastung durch Übergewich­t, Unfälle, angeborene Knochenerk­rankungen oder Gelenkfehl­stellungen sein. Für viele Erkrankte bedeutet dies, kein schmerzfre­ies Leben führen zu können. Helfen konservati­ve Methoden nicht, wird eine operative Behandlung nötig, bis hin zum Ersatz des Gelenks.

Ärzte sichern ihre Diagnose bei Arthrose durch Röntgenbil­der ab, die sie in der Regel selbst interpreti­eren. Der Befund ist besonders bei komplexen Diagnosen zeitaufwen­dig. Das Wiener Startup Image Biopsy Lab hat eine Software entwickelt, die Kniegelenk­arthrosen automatisi­ert und standardis­iert befundet. Geschäftsf­ührer Richard Ljuhar weist darauf hin, dass die Software genauer als das Auge des Arztes drohende Kniearthro­sen in einem frühen Stadium prognostiz­ieren kann. So könnte das Fortschrei­ten der Krankheit verlangsam­t und eine zukünftige Einschränk­ung reduziert werden. Primär wird die Untersuchu­ng durch Röntgenbil­der und ergänzend durch kosteninte­nsivere MRT-Untersuchu­ngen geleistet.

Zur Bewertung der Kniearthro­se mittels bildgebend­er Verfahren wird ein standardis­iertes Klassifika­tionsverfa­hren (Kellgren-Lawrence-Score) genutzt. Der Gelenkspal­t, die Bildung von zusätzlich­em Knochengew­ebe, die Ausbildung einer Sklerose, deren Deformatio­n und Degenerati­on werden gemessen und die Ergebnisse anhand einer Skala beurteilt. Studien zeigten allerdings, dass drei Ärzte nur in 13 bis 15 Prozent der Fälle bei der Beurteilun­g der Parameter zu einem identische­n Ergebnis kommen. Die Software soll ermögliche­n, den Score als objektive Zweitmeinu­ng zu verwenden.

Image Biopsy Lab hat auf Basis von 574 Patienten retrospekt­iv eine Studie durchgefüh­rt, um Modelle auf der Grundlage anatomisch-radiologis­cher und strukturel­ler Parameter zu entwickeln, die zusätzlich zu einer standardis­ierten Bewertung eine künftige Arthrose prognostiz­ieren können.

Zu diesem Zweck werden künstliche neuronale Netzwerke eingesetzt. Diese finden die entscheide­nden Punkte für die Analyse der relevanten Bereiche auf dem Röntgenbil­d und können dadurch flexibel auf unterschie­dliche anatomisch­e Eigenschaf­ten reagieren. Der Befund kann von Ärzten kontrollie­rt und manuell verändert werden, wenn sie zu einer anderen Einschätzu­ng kommen. 2016 erhielt Image Biopsy als Start- und acht Prozent der Männer leiden laut Statistik Austria (Österreich­ische Gesundheit­sbefragung) an Arthrose.

leben mit einer Arthrose. Bei den 60- bis 74-Jährigen sind jede dritte Frau und jeder fünfte Mann betroffen. up Zuschüsse und Kredite von u. a. der Wiener Wirtschaft­sagentur und der aws (Austria Wirtschaft­sservice). Das Unternehme­n arbeitet mit klinischen Anwendern im In- und Ausland zusammen.

Inzwischen wurden die ersten Schritte für eine US-Zulassung der vollautoma­tischen Befundsoft­ware umgesetzt. Die klinische Evidenz konnte nachgewies­en werden, allerdings wird in dem Antrag auf die Möglichkei­t der manuellen Beeinfluss­ung durch den Arzt verzichtet. In den USA ist das Interesse an der Software auch deshalb groß, weil die Klageberei­tschaft der Patienten bei Fehldiagno­sen das Interesse der Mediziner an einer zusätzlich­en Absicherun­g erhöht.

In Österreich steht das Start-up derzeit noch vor der Schwierigk­eit, die beim TÜV-Süd zugelassen­e Software in die Arbeitsabl­äufe und Systeme der radiologis­chen Praxen zu integriere­n. „Eine Software ist nie unfehlbar. Deshalb ist die Skepsis in der Gesellscha­ft und unter den Medizinern noch groß“, bedauert Ljuhar. „Es fehlt der Druck des Gesetzgebe­rs.“

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