Eine Toilette, die sich verneigt
Forscher der TU Wien haben ein WC entwickelt, das sich automatisch auf seine Nutzer einstellt. Zu Besuch im MS-Tageszentrum der Caritas Socialis, wo es getestet wurde.
Zentrumsleiterin Ramona Rosenthal hält einen elektronischen Schlüssel zum Eingang der Toilette. Dort leuchtet ein grünes Licht auf, eine Stimme sagt: „Hallo Sofia!“„Jetzt weiß ich, wessen Schlüssel ich auf die Schnelle erwischt habe“, erklärt Rosenthal schmunzelnd. Die diplomierte Krankenschwester leitet seit 22 Jahren das Tageszentrum der Caritas Socialis für Menschen mit Multipler Sklerose (MS) in der Oberzellergasse im dritten Wiener Gemeindebezirk. Sie ist ständig um Verbesserungen für ihre Klienten bemüht. Daher war sie vor rund einem Jahrzehnt, als Forscher der TU Wien auf sie zukamen, auch gleich bereit, den ersten Prototypen einer intelligenten Toilette an ihrem Zentrum zu testen.
Mittlerweile ist das zweite Modell im Einsatz. Diesmal waren Besucher und Mitarbeiter des MSZentrums von Anfang an in die Entwicklungsarbeit eingebunden. Nur weil etwas technisch machbar sei, müsse eine Lösung nicht für die Betroffenen passen, sagt Elektrotechniker Paul Panek, der das von der EU und dem Technologieministerium finanzierte Projekt „iToilet“an der TU Wien koordiniert: „Erst wenn Perspektiven von Anfang an zusammen entwickelt werden, startet man in die richtige Richtung.“Partizipatives Design heißt der Ansatz, der sich nach und nach in der Technologieentwicklung durchsetzt.
Die Wissenschaftler veranstalteten Workshops, in denen sie Nutzer und Pflegepersonal zu Projektbeginn 2016 um Prioritäten baten. Das Ergebnis: „Gefragt waren eine motorische Unterstützung beim Aufstehen, zwei Haltegriffe, links und rechts, eine einfache Bedienung und dass das WC merkt, wenn etwas nicht stimmt“, so Panek.
Das alles wurde berücksichtigt. Öffnet man nun nach der Identifikation die Türe zur Toilette, hebt oder senkt sich diese bereits auf die für den Nutzer passende Position. „Sie kann sich auch nach vorn neigen, damit man leichter sich hinsetzen oder aufstehen kann“, erklärt Rosenthal. Diese Ver- neigung vor dem Nutzer ermöglicht ein hinter der Muschel eingebauter Motor. Mit Druckknöpfen lässt sich die Position händisch verändern. Außerdem nimmt das System auch Sprachbefehle entgegen. Rosenthal sagt „spülen“, und es rauscht.
Braucht jemand für den Weg zur Toilette mehr als drei Minuten oder bewegt sich lang nicht auf der Muschel, fragt das System nach, ob alles in Ordnung ist. Das muss bejaht werden, sonst alarmiert es automatisch das Handy einer Krankenschwester, die dann nachsieht. Außerdem sind 3–D-Sensoren verbaut, die einen Sturz feststellen können. Angenehmer Nebeneffekt für das Pflegepersonal: Das schlaue Örtchen dokumentiert Toilettenbe- suche selbstständig, nimmt den Angestellten diese Aufgabe also ab.
Im MS-Tageszentrum ist man jedenfalls zufrieden. „Wir können den Menschen Würde und Selbstständigkeit zurückgeben und sind zugleich selbst entlastet“, schildert Rosenthal. Es sei kein einziger Unfall passiert, kaum jemand habe Unterstützung bei der Nutzung der intelligenten Toilette gebraucht. Notwendig sei anfangs allerdings eine gute Information darüber, wie das System funktioniert: „Die Menschen müssen die Reaktion der Maschine einordnen können.“Sonst glaubten sie mitunter, dass etwas nicht funktioniere.
Das MS-Tageszentrum sei ein gutes Testfeld, weil die Krankheit viele Gesichter habe, sich das Sys- tem also in ganz unterschiedlicher Hinsicht bewähren müsse, so Panek. Weil man auch Älteren und Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen Unterstützung bieten will, haben die TU-Forscher neben dem fix verbauten WC, wie es nach Projektabschluss Ende September im MS-Tageszentrum verbleiben wird, auch eine Variante für daheim entwickelt: eine Art höhenverstellbarer Sessel, der auf ein bestehendes WC aufgesetzt wird, sich also schnell und einfach einrichten lässt.
An den beteiligten Firmen liegt es nun, die Prototypen marktreif zu machen. Das soll in den nächsten ein bis zwei Jahren gelingen. Panek sprüht jedenfalls schon vor Ideen, wie sich die Toilette weiter entwickeln ließe: Ihm schweben etwa automatische WCs für den öffentlichen Raum oder Hotels vor. „Für einen barrierefreien Tourismus.“Zudem könne man dem System recht einfach die großen europäischen Sprachen einspielen. Mehr Grundlagenarbeit sei hingegen notwendig, um es an die komplexen Bedürfnisse Dementer anzupassen.
Wie kam Panek auf das Thema? „Weil es wenig dazu gab, aber vonseiten der Nutzer einen riesengroßen Bedarf“, schildert er. WC und Bad seien vonseiten der Forschung eher unterbelichtete Bereiche des Alltagslebens. Ein Tabu also? Es scheint so, auch sonst. „Über die Toilette spricht man nicht, man benutzt sie“, sagt Rosenthal. Zumindest solang alles in Ordnung ist, ganz unbehelligt. Manch einer denkt wohl erst darüber nach, wenn sich das ändert.
aus und um Wien nutzen derzeit das MS-Tageszentrum der Caritas Socialis. Die europaweit einzigartige Einrichtung bietet ein breites Angebot an Behandlungen, Therapien und Kommunikationsmöglichkeiten.
Menschen in hohem Alter geben an, beim Nutzen der Toilette Angst vor Stürzen oder anderen Zwischenfällen zu haben. Mehr als 50 Prozent bestätigen, dass sie zumindest manchmal längere Ausflüge vermeiden.