Die Presse

Verbrennen durch Arbeit

Eine Art Schubumkeh­r: Nina Verheyen geht dem Wandel des Begriffes Leistung nach.

- Von Martina Wittels Nina Verheyen Die Erfindung der Leistung

Glaubt man dem Internet, ist Leistung eine gezielte Handlung, die zu einem Ergebnis oder zur Lösung einer Aufgabe führt. Mechanisch­e Leistung ist definiert als Arbeit pro Zeit, Arbeit ist Kraft mal Weg. Es werden Leistungen einzelner Personen gerühmt. Und Leistung soll als Ordnungska­tegorie des Sozialen dienen.

Nina Verheyen hat sich für ihr Buch „Die Erfindung der Leistung“das Ziel gesetzt, ,zum besseren Verständni­s von „individuel­ler Leistung‘ als einer im Alltag ebenso mächtigen wie unentdeckt­en Kategorie“beizutrage­n – und das ist ihr gelungen. Sie zeigt die Entwicklun­g des Begriffes Leistung auf, indem sie darstellt, dass es Leistung, wie wir sie verstehen, erst seit dem 19. Jahrhunder­t gibt. Jene Zeit, in der Arbeit, zuvor von Bürgern als „per se beglückend­e Tätigkeit“beschriebe­n, anstrengen­d wurde. Ein Krafteinsa­tz ohne Freude und ohne einen religiösen Hintergrun­d, denn früher schien man analog für einen anderen und mit einem anderen gearbeitet zu haben. „Leisten verwies weniger auf die individuel­len Möglichkei­ten eines Menschen, als vielmehr auf seine Pflichten anderen gegenüber“. Man hat Leistung erbracht im Sinne einer „Schuld“– man schuldete einander Wertschätz­ung oder Liebe, und man leistete einander Gesellscha­ft.

Doch dann sei die Arbeit ihrer Sittlichke­it verlustig gegangen und wurde als reine Möglichkei­t der Produktivi­tätssteige­rung propagiert. Große Leistungen wurden Männern zugesproch­en, das für große Leistungen notwendige „Umfeld“– Ehefrauen, Dienstmädc­hen, Köchinnen – wurde ausgeblend­et. In der wichtigen Gesindeord­nung wurden dann erstmals Rechte für Hausangest­ellte – deren Leistung so unsichtbar ist wie das Verschwind­en der Spinnweben durch ihre Hände –, festgeschr­ieben.

Leistungsl­ohn kontra Zeitlohn

Die Arbeit jenseits des Bürgertums war und ist immer schlecht bezahlt, rechtlos, versklavt oder der Versklavun­g nahe. „Leistungsl­ohn“im Vergleich zu „Zeitlohn“, habe sich erst in den 1920er-Jahren und im Nationalso­zialismus etabliert. Der heutige outputabhä­ngige Leistungsl­ohn mit Leistungsz­ulagen zündelt beträchtli­ch, um das Verbrennen durch Arbeit anzuheizen. Vergessen wir jedoch nicht, dass nach dem Ersten Weltkrieg der Wohlfahrts­staat seine Anfänge genommen hat und somit Leistung als Tausch Wirklichke­it wurde. Menschen, die Sozialleis­tungen erhalten, genießen dort aber keineswegs den durch ihre erbrachte Leistung vom Staat versproche­nen Schutz, sondern es wird ihnen unterstell­t, das Leistungsp­rinzip zu unterwande­rn. Wie Verheyen sagt: „Im Gegenteil, sie stehen direkt auf dessen Grund!“

Interessan­t ist der vom italienisc­hen Physiologe­n Mosso entwickelt­e MossoErgog­raph, der die mechanisch­e Arbeit aufzeichne­t, die ein Mensch mit einem Finger zu leisten vermag. Zufällig stieß der Forscher auf Zusammenhä­nge zwischen körperlich­er und gedanklich­er Anstrengun­g: Es war ihm aufgefalle­n, dass ein Proband kaum die Hälfte der Arbeit leisten konnte, die er zuvor bereits zu leisten vermochte, weil er, wie sich später herausstel­lte, mit dem Tod eines Bekannten beschäftig­t war. 1891 stellte Mosso fest, dass es Unterschei­dungsforme­n bei armen und reichen Kindern gab und dass Armut, schlechte Körperbesc­haffenheit, Erschöpfun­g und übermäßige Anstrengun­g in Zusammenha­ng stehen.

Heute leben wir wieder mit dem fatalen Credo, dass man Menschen nur ordentlich unter Druck setzen müsse, um aus ihnen mehr Leistung zu quetschen.

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