Die Presse

Vertrauen ist besser – und gefährlich

Führung. Kontrolle sei nicht das Gegenteil von Vertrauen, sagt Ann-Marie Nienaber, die an der Coventry University lehrt. Vielmehr sagt sie: „Kontrolle ist ein Mittel zur Vertrauens­bildung.“

- VON MICHAEL KÖTTRITSCH

Es ist derzeit ein gehyptes Thema in der Betriebswi­rtschaftsl­ehre: Vertrauen. Mit Zusätzen versehen wie -skultur oder -sarbeitsze­it. Oder einfach nur Vertrauen. Von der Wissenscha­ft wird es beforscht, von den Unternehme­n regelrecht beschworen. Kaum eine Hochglanz-Employer-Branding-Broschüre kommt ohne den Hinweis aus, wie Vertrauen gelebt wird.

Was Vertrauen tatsächlic­h ist, bringt Ann-Marie Nienaber auf den Punkt. Vertrauen, sagt die Professori­n für Human Resource Management an der britischen Coventry University, „ist die positive Erwartungs­haltung, dass sich ein anderer mir gegenüber nicht opportunis­tisch verhält.“Vertrauen besteht dabei aus zwei Faktoren: Erstens der positiven Erwartungs­haltung, die sich auf Fakten und Erfahrunge­n stützt, dass eine Person eine ihr übertragen­e Aufgabe gut erledigen wird.

Und zweitens aus der emotionale­n, affektiven Seite. „Man könnte auch Bauchgefüh­l dazu sagen – und das ist schwierige­r zu messen“, sagt Nienaber, die am 24. Oktober bei der „Woche der Wirksamkei­t“in Wien spricht.

Fundamenta­l ist darüber hinaus: „Vertrauen gibt es nur von beiden Seiten.“Allerdings müssten in aller Regel die Führungskr­äfte den ersten Schritt setzen, damit es zu diesem wechselsei­tigen Erleben von Vertrauen kommen kann. Die Konsequenz dieser Vorleistun­g liegt allerdings auf der Hand und heißt Verwundbar­keit. „Verwundbar bin ich, wenn ich Freiräume einräume, Informatio­n weitergebe.“Umgekehrt lohnt sich der Preis für den einseitige­n Vertrauens­vorschuss und die angesproch­ene Verwundbar­keit in den meisten Fällen: Denn „passiert dieser erste Schritt, dann fühlt sich der Mitarbeite­r besser behandelt, er handelt kreativer und kooperatio­nsbereiter, er ist zufriedene­r und eher bereit, Verantwort­ung zu übernehmen“, sagt Nienaber.

Kompetent und integer

Erleichter­t wird dieser erste Schritt, wenn man das Gegenüber für vertrauens­würdig hält, wenn man es als kompetent und integer erachtet. Und wenn man die beiden Fragen „Kann ich mit diesem Menschen?“und „Wird er mich wohl auch berücksich­tigen?“jeweils mit Ja beantworte­n kann.

Aber ist Vertrauen bedingungs­los positiv konnotiert? Auf einer Skala von eins bis zehn, auf der „zu wenig Vertrauen“eins bedeutet und „zu viel Vertrauen“zehn darstellt, sollte sich „der Wert oberhalb der Mitte“bewegen, sagt Nienaber. Denn: „Zu viel Vertrauen ist genauso schädlich wie zu wenig Vertrauen oder Misstrauen.“

Ihr ist auch wichtig, ein gängiges Missverstä­ndnis zu beseitigen: „Oft wird Kontrolle als Gegensatz zu Vertrauen verstanden.“Kontrolle könne weder das Vertrauen ersetzen, noch gehe es ohne Kontrolle. Tatsächlic­h erklärt Nienaber: „Kontrolle ist ein Mittel zur Vertrauens­bildung.“Dann, wenn sie wohl dosiert sei und die Freiräume des Einzelnen nicht zu stark einschränk­e. Denn „das führt zu Misstrauen und wirkt demotivier­end“. Diese Balance von Kontrolle und Vertrauen kann unter der Voraussetz­ung gelingen, dass die Art und Weise, wie kontrollie­rt wird, transparen­t ist. „Ich muss sagen, was und wie ich kontrollie­re. Dann steigert Kontrolle das Vertrauen“, sagt Nienaber.

Noch zwei Hinweise: Wenn ich misstraue, sagt sie, „muss ich ganz von vorn beginnen“. Und: Man kann Unternehme­n misstrauen, aber der Führungskr­aft vertrauen – und umgekehrt.

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[ MGO ] Vertrauen ist eine zweiseitig­e Angelegenh­eit – fehlt es, kann es schmerzhaf­t werden.

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