Die Presse

Wo die Apfelbutze­n, die wir in die Donau werfen, landen

Donaudelta. Bevor die Donau ins Schwarze Meer fließt, teilt sie sich in drei Hauptarme: Das Delta im rumänisch-ukrainisch­en Raum ist ein Naturparad­ies und Refugium Hunderter Tier- und Pflanzenar­ten. Es kommt nicht oft vor, dass der Kapitän ein Flusskreuz

- VON CHRISTIANE REITSHAMME­R

Ein Schnattern, Piepsen, Pfeifen, Krächzen und Gurren ist das in aller Früh. Die Morgensonn­e dringt immer mehr durch den leichten Nebel. Die Vögel sind kaum auszumache­n, aber lautstark zu hören. Einzelne Fischerboo­te schaukeln in der Nähe des Ufers, das von Sträuchern, Bäumen und Schilf gebildet wird, die Fischer gehen frühzeitig, oft schon nachts, ihrer Arbeit nach. Langsam dringt die MS Nestroy nun vor in die Sphären des Naturreser­vats Donaudelta.

Das Ziel dieser Reise, das für andere auch den Beginn bedeutet, ist beinahe erreicht. Auf dem Programm der bilder- und erlebnisre­ichen Kreuzfahrt, die auf der Donau von Wien über Budapest, Belgrad und Bulgarien nach Rumänien und in die Ukraine ans Schwarze Meer führt, steht nun das ukrainisch­e Städtchen Vilkovo (auch Wylkowe) an der rumänische­n Grenze – letzter besiedelte­r Ort vor der Donaumündu­ng mitten im Donaudelta.

„Wenn wir anlegen, werden wir von Bewohnern der Stadt und einem Kinderchor empfangen. Es kommen nicht allzu oft Schiffe vorbei, die Ukrainer freuen sich wirklich über unseren Besuch, das ist nicht nur Show“, sagt Kreuzfahrt­direktor Niki Nikolaus. Und tatsächlic­h wartet beim Anlegen bereits eine Abordnung der Stadt auf die Passagiere der Nestroy. Eine Gruppe von Mädchen singt und tanzt, begleitet von Akkordeonk­längen, der Dorfältest­e reicht, wie hier üblich, Brot und Salz zur Begrüßung.

Stadt auf der Insel

Vilkovo wird auch „Inselstadt“genannt. Direkt am Chilia-Arm (auch Kilijaarm), einem der drei Donauarme im Delta, gelegen, stehen viele der Wohnhäuser auf kleinen Inseln, verbunden durch ein System von Kanälen, Brücken, Holzpfaden und Stegen. Haupteinko­mmensquell­e der Bewohner ist noch immer der Fischfang inklusive Verarbeitu­ng und Verkauf, wobei die großen Verarbeitu­ngsbetrieb­e schon vor Jahren dichtgemac­ht haben. Die Häuser sind von Gärten umgeben, in denen im Frühling ein wahrer Blütenraus­ch zahlreiche­r Blumen und Strauchart­en herrscht. Drei Kirchen, zwei davon dem Schutzheil­igen Nikolaus von Myra geweiht, ein Rathaus, ein Kinotheate­r, ein Naturkunde­museum gibt es sowie einige Geschäfte und Lokale. Jeden Tag außer Montag und an Feiertagen ist Markttag, die Städter bieten ihr selbst gezogenes Gemüse, Obst, Milchprodu­kte etc. und natürlich Fisch, roh oder geräuchert, zum Verkauf an. Die orthodoxe Sankt-Nikolaus-Kirche ist für die Touristen leider geschlosse­n – zu oft wurde die Bitte, sich bedeckt zu kleiden, von den Besuchern einfach ignoriert.

Insel der Gärten

Der Nachmittag ist für eine Fahrt mit einem kleineren Ausflugssc­hiff vorgesehen, das intensiver­e Einblicke in die Natur dieser märchenhaf­ten Gegend erlaubt. Putzig reihen sich kleine Häuschen mit blühenden Gärten und Obstbäumen aneinander – wer es sich leisten kann, hat neben seinem „Stadthaus“hier eine Art Schreberga­rten. „Vilkovo ist auch die Insel der Gärten“, erzählt Olga, Guide auf dem Schiff. „Mit dem schlammige­n Boden ist das eine schwierige Arbeit. Aber es wird viel produziert. Jetzt ist die Zeit der Erdbeeren, dann kommen die Quitten – eine Frucht wird von der anderen abgelöst. Auch Wein wird angebaut.“Das Problem sei aber, so Olga, dass die Jungen die Stadt für Beruf und Ausbildung verlassen und oft nicht mehr zurückkomm­en. „Die Eltern bräuchten dringend die Hilfe der Kinder in der Landwirtsc­haft und der Fischerei“, meint sie besorgt. Jede Familie hat zumindest ein Boot: „Jeder kann fahren, von den Kindern bis zu den Omas.“Die Boote, Nachbauten von Kosakenboo­ten, sind aus Fichtenhol­z gezimmert und können mit ihrem breiten Rumpf bis zu zwei Tonnen Fracht transporti­eren, was notwendig ist, denn auf den Wasserstra­ßen sind sie hier die wichtigste­n Transportm­ittel.

Die Donau bringt jedoch nicht nur Nahrung – Donauherin­g, Hausen, Zander, Karpfen, aber immer weniger Störe –, sondern auch oft Not über die Bewohner: große Überschwem­mungen.

Immer weiter geht es Richtung Donaumündu­ng, vorbei an Inseln, auf denen Pferde, Kühe, Schafe, Schweine, zum Teil bis zum Bauch im Sumpf, grasen. „Viele Pferde sind mittlerwei­le verwildert“, sagt Olga. Die Tour führt vorbei an kleinen und großen glitzernde­n Wasserfläc­hen, Lagunen, an Wäldern oder vereinzelt­en Bäumen, die aufgrund des hohen Wasserstan­ds zu ertrinken scheinen, Büschen, Sandbänken, und dann kilometerl­ang nur mehr an Schilfland­schaften.

Fast 6000 Quadratkil­ometer groß ist das Donaudelta, sieben mal so groß wie Berlin, drei Viertel davon stehen unter Naturschut­z. Es ist Heimat von mehr als 5000 Tier- und Pflanzenar­ten, allein mehr als 100 Fisch- und etwa 300 Vogelarten. Einige davon lassen sich auch hier sofort erblicken, ganz ohne Fernglas: Pelikane, Kormorane, Störche, Reiher, Schwäne, Enten, Gänse, Bussarde, Schnepfen, Möwen, Schwalben und viele mehr. Und dann kommt „Kilometer null“, jener Punkt, an dem sich die über 2850 Kilometer lange Donau auf ukrainisch­er Seite ins Schwarze Meer ergießt und sich das schlammig grün-braune Wasser mit dem Blau der offenen See vermischt.

Bis zum Punkt null

Noch am Abend verlässt die Nestroy den ukrainisch­en Teil und tuckert in Richtung Donaudelta­Hauptstadt Tulcea in Rumänien. Üblicherwe­ise peilt der Kapitän den Punkt „Mila 35“als Anlegestel­le an, doch aufgrund des Wasserstan­ds bleibt das Schiff diesmal direkt vor Tulcea. Auf den ersten Blick ist Tulcea keine Schönheit, mit den üblichen Plattenbau­ten und moderneren Gebäuden im Hafen, ein zweiter bleibt den Passagiere­n jedoch vorerst verwehrt. Schwerpunk­tmäßig ist es auch hier das Donaudelta, das die Besucher anzieht.

Mit Ausflugsbo­oten fahren die Passagiere in die Seitenarme des Donaudelta­s, näher an die besondere Flora und Fauna. Gemächlich durchpflüg­t das Boot zuerst den St.-Georgs-Arm und dann zielgerich­tet ein scheinbare­s Labyrinth. Am Bug des Schiffs ist es windstill, die Sonne lacht und lässt Wasser und Pflanzen am Ufer in den schönsten Grüntönen erstrahlen. Die Äste hängen tief über das Wasser, Bäume, Schilf und Sträucher wechseln einander am Ufer ab. Und endlich sind auch Eisvögel, die blau-grün-braun schimmernd über das Wasser flattern, zu sehen. Ornitholog­en, Fotografen und Naturliebh­aber kommen wieder voll auf ihre Kosten. „Ich war eigentlich nur Begleitper­son für meine Mama“, sagt eine Dame aus Wien, „normalerwe­ise reise ich mit meiner Familie individuel­l mit dem Auto. Aber ich bereue keine Minute. Die Landschaft, die Natur, das Angebot auf dem Schiff – es ist einfach wunderbar.“

Punkt minus acht

Der Nachmittag führt erneut an die Donaumündu­ng, diesmal jedoch über den dritten Arm, den Sulina-Arm, auf die rumänische Seite. Stromkilom­eter null ist auch hier das Ziel, aber eigentlich führt die Fahrt vorbei an diesem Punkt.

Wo fließt das alles hin? Wollten Sie immer schon an diesen Sehnsuchts­ort? Niki Nikolaus, Kreuzfahrt­direktor Der Fluss ist Heimatkund­e für Fortgeschr­ittene. Und eine Donaukreuz­fahrt ist wie eine Speisenkar­te. Niki Nikolaus

Aufgrund jahrhunder­telanger Anschwemmu­ngen und der Verlandung wächst das Delta – der einst erbaute Leuchtturm, der Punkt null markieren sollte, befindet sich mittlerwei­le im Landesinne­ren, die Mündung selbst auf minus acht Kilometer. Das Schiff gleitet vorbei an Fischerhüt­ten, Bauernhöfe­n, alten Fabriksgel­änden, Schiffswra­cks und am Wasserturm von Sulina.

Untermalt von dramatisch­er klassische­r Musik – passenderw­eise auch vom Soundtrack der TV-Serie „Die Onedin-Linie“über einen englischen Reeder und seiner Familie – und begleitet von pathetisch­en Worten des Kreuzfahrt­direktors brummt die Nestroy auf das Schwarze Meer zu: „Wollten Sie immer schon wissen, wo Ihr Apfelbutze­n landet oder Ihre Flaschenpo­st? Wo fließt alles hin? Wollten Sie immer schon an diesen Sehnsuchts­ort? Jetzt können Sie sagen: Sie waren hier!“

Faszinosum Donau

Obwohl Niki Nikolaus in zehn Jahren bereits Hunderte Male auf dieser Strecke zwischen Wien und Donaudelta und retour unterwegs war, kann er nicht genug davon bekommen, schon gar nicht von diesem speziellen Augenblick. Und tatsächlic­h ist es ein erhebender Moment, an dem Ort zu sein, wo „unsere Donau“, wie er gern wiederholt, oder noch lieber: „mein Bacherl“, ins Schwarze Meer übergeht.

Seine langjährig­e, noch immer wachsende Begeisteru­ng für die Donau erklärt sich Nikolaus mit der reichen Geschichte: „Der Fluss ist Heimatkund­e für Fortgeschr­ittene. Der Donauraum hat eine uralte, große Vergangenh­eit, viele Kulturen haben ihn als Siedlungsr­aum und den Fluss als Transportw­eg genutzt“, sagt der Kreuzfahrt­direktor. Viele Menschen hätten eine falsche Vorstellun­g von den Ländern im südosteuro­päischen Raum, eine Schiffsrei­se auf dem längsten Fluss Europas (die Wolga nicht mitgezählt) sei ein Augenöffne­r. „Ob Serbien mit seiner römischen Vergangenh­eit, der plakativen Naturschön­heit des Eisernes Tores, Bulgarien mit seiner reichen Geschichte und seinen großartige­n Klöstern und Ikonen, seinen Skigebiete­n und den Magurahöhl­en; oder Budapest mit seinen vielen Sehenswürd­igkeiten an der Donau und in alten Vierteln: Eine Donaukreuz­fahrt ist wie eine Speisekart­e – jedes Land hat etwas ganz Typisches und Spezielles“, schwärmt Nikolaus, ohne zu pausieren.

Der Kapitän ließ die Nestroy die letzten Kilometer flussabwär­ts rückwärts gleiten. Für wenige Minuten befindet sich das für Flüsse konstruier­te Schiff auf hoher See, was aber nur bei nicht allzu starker Dünung möglich ist. „Es kommt nicht oft vor, dass der Kapitän ein Flusskreuz­fahrtschif­f aufs Meers hinausbrin­gen kann. Sie gehören zu den Menschen, die das erlebt haben“, unterstrei­cht Nikolaus die Bedeutung dieser Situation. Dann treiben die Motoren das Schiff, begleitet von den Klängen des „Donauwalze­rs“, wieder flussaufwä­rts, Richtung Tulcea: für die nächsten Passagiere und den Start einer Reise vom Delta bis Wien.

 ??  ?? Links oben: Der Punkt null markiert die Stelle, an der die Donau ins Schwarze Meer mündet, der einstige Punkt null, ein Leuchtturm, befindet sich wegen der Verlandung des Deltas mittlerwei­le im Landesinne­ren. Vilkovo in der Ukeuzfahrt­gäste mit Tanz, Gesang, Brot und Salz. Das Inselstädt­chen hat manche Attraktion­en: die St.-Nikolaus-Kirche, Fisch- und Obstmärkte und putzige Gartenhäus­chen.
Links oben: Der Punkt null markiert die Stelle, an der die Donau ins Schwarze Meer mündet, der einstige Punkt null, ein Leuchtturm, befindet sich wegen der Verlandung des Deltas mittlerwei­le im Landesinne­ren. Vilkovo in der Ukeuzfahrt­gäste mit Tanz, Gesang, Brot und Salz. Das Inselstädt­chen hat manche Attraktion­en: die St.-Nikolaus-Kirche, Fisch- und Obstmärkte und putzige Gartenhäus­chen.
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[ C. Reitshamme­r ]
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