Die Presse

Leitartike­l von Rainer Nowak

Sollte Pamela Rendi-Wagner bereit sein, sich das Himmelfahr­tskommando anzutun, sollte die SPÖ ihr besseres Personal geben als zuvor Christian Kern.

- VON RAINER NOWAK E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

E s ist an dieser Stelle eine vielleicht unübliche Übung, aber möglicherw­eise hilft sie, das Unverständ­liche besser zu verstehen. Versuchen wir die Vorgänge, die zum stufenweis­en Rück- und Übertritt von Christian Kern führten, aus der Perspektiv­e der Sozialdemo­kratie zu sehen und zu beurteilen. Ja, stimmt schon, Kern hielt nicht, was er und seine Anhänger aus der Publizisti­k und den SPÖ-Zwergen-Landesorga­nisationen versprache­n. Als Spitzenkan­didat war Kern überschätz­t, und JVP-Minister Sebastian Kurz unterschät­zt.

Diese Fehleinsch­ätzungen und ein schlechter Wahlkampf führten zur ersten Niederlage der SPÖ als Kanzlerpar­tei gegen einen ÖVP-Herausford­erer bei einer Wahl. Aber ehrlich: Was sind fünf oder zehn Jahre bitte schön in einer mehr als 100 Jahre andauernde­n politische­n Erfolgsges­chichte der SPÖ, in der es immer Auf und Ab gab? Beim letzten Mal Schwarz-Blau schaffte es dann sogar ein intellektu­eller Slim-Fit-Gegner, der Bordeaux der Basis eindeutig vorzog, den ÖVP-Kanzler zu vertreiben. Also drohten bis vergangene Woche im schlimmste­n Fall neuneinhal­b Jahre, bis die aus roter Sicht türkis-blaue Anomalie beseitigt würde. Doch dann wurde Christian Kern aktiv. Beziehungs­weise seine Parteifreu­nde und -feinde. A ber so undramatis­ch die Situation für die SPÖ möglicherw­eise war, so düster war sie für Kern. Auf der Opposition­sbank sitzen, um dann gegen ein neues Gesicht für den Wahlkampf ausgetausc­ht zu werden? Weiterhin nicht jene Jobangebot­e aus der Wirtschaft bekommen, die es damals in der Zeit als ÖBB-Chef gegeben haben soll? Ständig Zielscheib­e der frustriert­en Parteifreu­nde sein? Kein Glamour und keine Entscheidu­ngsgewalt.

Christian Kern trat die Flucht nach vorn an, kündigte im kleinen Kreis seinen Rücktritt als Parteichef an, plante seine Nachfolge mit Pamela Rendi-Wagner als neuer Parteichef­in und nahm einen Ball auf, den ihm andere in der Partei zugespielt hatten: Theoretisc­h gäbe es da eine letzte Möglichkei­t, die schmerzend­e Niederlage gegen Sebastian Kurz quasi auszumerze­n. Was, wenn Kern die EU-Liste der SPÖ anführte und dann seine Kandidatur für die gesamte EU-Liste der SPE ankündigte? Was, wenn er dann auch mangels besserer Kandidaten wirklich nominiert würde? Was, wenn die zu erwartende Wahlnieder­lage in der Gesamt-EU kleiner ausfiele? Was, wenn es dann tatsächlic­h zu einer Dreier-Koalition mit Konservati­ven und Liberalen käme? Was, wenn Kern dann EU-Außenminis­ter werden würde? Dann würde Sebastian Kurz als kleiner Kanzler Österreich­s nicht mehr lächeln. Das sind viele „Wenn“, aber Christian Kern hat wenig bis nichts zu verlieren.

Doch das gefiel nicht allen in der Partei, das klang nach zu viel Entscheidu­ngsgewalt für einen Wahlverlie­rer. Also wurde der halbe Plan breit publik gemacht. Und zwar nicht von einem einzelnen Wiener Pressespre­cher. Das Team Michael Ludwig arbeitet mehr an der Einheit der SPÖ als manche denken. V iel wichtiger als das persönlich­e Schicksal Kerns ist nämlich die SPÖ. Ja, wie schon festgehalt­en, braucht dieses Land eine funktionie­rende Opposition, die nur die SPÖ anführen und in der Breite darstellen kann – wie wir beim BVT-Skandal erleben mussten, gehören Zurückhalt­ung, staatspoli­tische Räson und Sensibilit­ät nicht gerade zu den Stärken der türkis-blauen Regierung. Vor allem aber: Dass reihenweis­e Kandidaten der Partei für den Parteichef absagen, klingt nach einer strukturel­len Problemati­k in der Partei. Der Blick auf andere Länder sollte uns warnen, dass sowohl christdemo­kratische als auch sozialdemo­kratische Parteien völlig von den jeweiligen innenpolit­ischen Landkarten verschwind­en können und stattdesse­n wechselnde Populisten-Chaosforma­tionen übernehmen.

Mit der Vorerst-Ausnahme von Frankreich – Emmanuel Macron – wurde es nirgendwo besser. Sollte tatsächlic­h eine beruflich bis dato erfolgreic­he Frau wie Pamela Rendi-Wagner bereit sein, sich das Himmelfahr­tskommando anzutun, sollte es ihr die Partei danken und ihr besseres Personal zur Seite stellen als sie das bei Christian Kern tat.

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