Die Presse

Die Regierung soll regieren, Löhne verhandeln sollen die Sozialpart­ner

Inhaltlich mag der jüngste Kommentar der Regierung zur Lohnrunde nachvollzi­ehbar sein. Taktisch sowieso. Dennoch ist er ein unnötiger Tabubruch.

- E-Mails an: jakob.zirm@diepresse.com

A uf den ersten Blick ist es nur eine harmlose Empfehlung zur Lohnrunde. So forderten Bundeskanz­ler Sebastian Kurz und Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache am Wochenende in einer gemeinsame­n Aussendung die Sozialpart­ner dazu auf, „sicherzust­ellen, dass die Arbeitnehm­er von der guten wirtschaft­lichen Entwicklun­g profitiere­n“. Diese solle sich „in den Gehaltsabs­chlüssen wiederfind­en“, indem die Lohnsteige­rungen „klar über der Inflation“liegen.

Aus taktischer Sicht ist dieser ungewöhnli­che Kommentar – bis dato galt das ungeschrie­bene Gesetz, dass sich die Regierung zu den Lohnverhan­dlungen nicht äußert – absolut verständli­ch. FPÖ und ÖVP leiden darunter, dass ihre Maßnahmen zur Stärkung des Wirtschaft­sstandorte­s als „unsozial“gebrandmar­kt werden. Vor allem die FPÖ-Wählerscha­ft ist für die Kritik der Opposition beispielsw­eise am „Zwölfstund­entag“durchaus empfänglic­h – wie auch entspreche­nde Kommentare etwa auf Straches Facebook-Seite zeigen. Und auch der türkisen Regierungs­hälfte kann ein bisschen mehr kommunizie­rte soziale Wärme nicht schaden. Zumal die SPÖ derzeit vor allem mit sich selbst beschäftig­t ist und diese Flanke mehr oder weniger offen lässt.

Auch inhaltlich ist die Forderung der Regierungs­spitze durchaus nachvollzi­ehbar. Wann, wenn nicht in der Phase einer Hochkonjun­ktur kann es substanzie­lle Lohnabschl­üsse geben? Viele börsenotie­rte Konzerne konnten im Halbjahr starke Zahlen vermelden. Und auch bei den meisten Mittelstän­dlern sind die Auftragsbü­cher derzeit so voll wie schon lang nicht mehr. Zieht man die oft totgesagte, aber immer noch genutzte Benya-Formel heran (Inflation plus Hälfte der Produktivi­tätssteige­rung), dann müsste es heuer ein Lohnplus von spürbar über drei Prozent geben.

Allerdings kommt der Aufruf der Regierung in einer heiklen Phase. So sorgt die Erhöhung der maximalen Tagesarbei­tszeit vulgo der Zwölfstund­entag bei den Arbeitnehm­ervertrete­rn ohnehin für das Gefühl, sich bei der Lohnrunde revanchier­en zu müssen. Die Folge ist neben einem Forderungs­paket zur Arbeitszei­t auch das Verlangen nach einer fünfpro- zentigen Lohnsteige­rung – so viel wie seit mehr als zehn Jahren nicht mehr. Von den Arbeitgebe­rn wurde das bereits als „nicht nachvollzi­ehbar“abgelehnt.

Dass sich die Gewerkscha­ft trotzdem nicht über die unerwartet­e Unterstütz­ung durch die Regierung freut, sollte nicht überrasche­n. Schließlic­h setzt sie Arbeitnehm­er mit Arbeitnehm­ervertrete­r gleich und tut sich bei dem Gedanken schwer, dass sich jemand, der die Macht der Gewerkscha­ft brechen will, trotzdem mehr Geld für Werktätige wünscht. Wenig Freude dürften auch die Arbeitgebe­rvertreter haben. Sie verhalten sich offiziell allerdings still und werden sich bei den handelnden Personen wohl hinter verschloss­enen Türen „bedanken“. A ber auch abseits dieser Partikular­interessen hat die Regierung dem Land mit ihrem Kommentar einen Bärendiens­t erwiesen. Denn die Aufgaben und Verantwort­lichkeiten von Regierung und Sozialpart­nern wurden in Österreich schon viel zu lang vermischt.

Dass Vertreter von Arbeitgebe­rn und Arbeitnehm­ern bei Themen wie Gesundheit­ssystem, Bildung oder Pensionen immer ein entscheide­ndes Wörtchen mitzureden haben, mag vielen in Österreich als normales Prozedere vorkommen. Das ist es allerdings nicht. Für die Behandlung dieser Anliegen ist die gewählte Regierung zuständig. Wahlen auf der Ebene einer Kammer sind dafür kein Ersatz. Die demokratis­che Legitimati­on dieser früheren Art Schattenre­gierung war somit nie vorhanden.

Es ist gut, dass die türkis-blaue Koalition beginnt, mit der österreich­ischen Unsitte aufzuhören, in manchen Bereichen nur noch die Kompromiss­e der Sozialpart­ner abzunicken, sondern selbst entscheide­t – also im eigentlich­en Sinn regiert. Gleichzeit­ig darf sie aber ihrerseits nicht ihre Kompetenze­n überschrei­ten. Und dazu gehört auf jeden Fall ein Einmischen in die Lohnverhan­dlungen.

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VON JAKOB ZIRM

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