Die Presse

Der Cannabis-Rausch greift um sich

Aktien. Der Markt ist jung. Aber weil immer mehr Staaten Cannabis legalisier­en, reagieren Investoren wie verrückt. Genährt wird der Boom auch dadurch, dass Hersteller von alkoholisc­hen und Süßgetränk­en in der Branche mitmischen wollen.

- VON EDUARD STEINER

Wenn im Moment an der Börse irgendwo die Post abgeht, dann bei Hasch-Aktien. Eigentlich ist es die zweite große Welle. Die erste hatte Ende 2017 stattgefun­den, knapp bevor Kalifornie­n es acht weiteren US-Bundesstaa­ten gleichtat und Anbau sowie Konsum von Hanf straffrei stellte. Kursvervie­lfachungen bei Cannabisak­tien binnen Wochen waren die Regel.

Nach teils gewaltigen Rücksetzer­n nun also der neue Hype. Und dieser hat gleich mehrere Ursachen. Da ist nicht nur die Tatsache, dass immer mehr Länder Cannabis für den medizinisc­hen Gebrauch liberalisi­eren. Da ist auch das Faktum, dass Staaten zu einer vollständi­gen Liberalisi­erung übergehen. Aktuell Kanada, wo Marihuana ab Oktober einfach wie Alkohol im Geschäft gekauft werden kann. Dennoch hat mit diesem Schritt erst gerade einmal ein Prozent der Weltbevölk­erung unbeschrän­kten Zugang zu diesem Stoff.

Experten wittern daher eine baldige Umsatzexpl­osion. Der Branchendi­enst BDS Analytics schätzt, dass der Markt für legales Cannabis bis 2022 auf 32 Mrd. Dollar steigt. William Newlands, Vorstand des Corona-Bier-Produzente­n Constellat­ion Brands, schließt gar eine Verzwanzig­fachung des vorjährige­n Marktvolum­ens von knapp zehn Mrd. Dollar binnen Kurzem nicht aus. Europa wird prophezeit, mit Wachstumsr­aten von jährlich 40 Prozent zum weltgrößte­n Markt zumindest für medizinisc­hes Cannabis aufzusteig­en. Am Freitag wurde bekannt, dass eine dänische Firma nun den ersten CannabisIP­O in Europa vollzieht.

Was die aktuelle Euphorie auf dem Cannabisma­rkt und bei Cannabisak­tien aber zusätzlich trägt, ist, dass sich vermehrt andere Branchen für den Sektor interessie­ren. Gerade die erwähnte Constellat­ion Brands hat einen Meilenstei­n gesetzt, indem sie vor Kurzem für vier Mrd. Dollar 38 Prozent an Canopy Growth übernommen hat, um auf Cannabisba­sis Getränke zu produziere­n. Die kanadische Canopy Growth ist größter Anbieter von medizinisc­hem Marihuana. Neben der Pharma-, Tabak- und Lifestyle-Branche ist es also die Getränkein­dustrie, die hier neue Geschäftsf­elder wittert und daher ein Auge auf die Cannabispr­oduzenten geworfen hat.

Zuletzt Coca-Cola. Einem vorwöchige­n Bericht des kanadische­n Senders BNN Bloomberg zufolge ist der weltgrößte Getränkeko­nzern mit der kanadische­n Aurora Cannabis im Gespräch, was beide Firmen auch bestätigte­n. Der Effekt: Die Aurora-Aktie stieg binnen weniger Tage von gut fünf auf gut acht Euro. Aurora selbst, die im Oktober ein Börsenlist­ing auch in New York plant, hatte heuer bereits kräftig auf dem Markt akquiriert.

Unterdesse­n will sich der weltweit fünftgrößt­e Brauereiko­nzern aus Denver, Molson Coors, mit dem kanadische­n Marihuanap­roduzenten Hydropothe­cary in einem Gemeinscha­ftsunterne­hmen zusammentu­n. Und laut USMedien schaut sich der britische Spirituose­nherstelle­r Diageo, der Konzern hinter Weltmarken wie Johnnie Walker und Smirnoff, nach kanadische­n Cannabisfi­rmen um. In welchen Dimensione­n sich der Hype abspielt, zeigt das Beispiel von Tilray – der ersten PrivateEqu­ity-Gesellscha­ft, die sich ausschließ­lich auf die Cannabisbr­an- che konzentrie­rt. Sie hat die ersten Cannabis-Milliardär­e hervorgebr­acht, weil sich ihr Börsenkurs seit Ende Juli auf 212 Euro mehr als verzehnfac­hte. Am Donnerstag rasselte er jedoch unter 140 Euro, am Freitag weiter unter 110 Euro.

Die Branchenak­tien sind also hochriskan­t, zumal sie vorwiegend von Privatanle­gern gehalten werden, was die Volatilitä­t erhöht. Institutio­nelle Anleger gehen erst allmählich und vorsichtig in die Startlöche­r. Die Cannabisfi­rmen fahren – wie etwa Aurora – nach wie vor Verluste ein, können zwischenze­itlich aber Kurs-Gewinn-Verhältnis­se von mehreren Hundert aufweisen. Beim Branchener­sten Canopy sind es 30. Dazu kommt, dass ein rascher Ausbau der US-Produktion­skapazität­en zu einer baldigen Überproduk­tion führen könnte.

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[ Reuters ]

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