Der Cannabis-Rausch greift um sich
Aktien. Der Markt ist jung. Aber weil immer mehr Staaten Cannabis legalisieren, reagieren Investoren wie verrückt. Genährt wird der Boom auch dadurch, dass Hersteller von alkoholischen und Süßgetränken in der Branche mitmischen wollen.
Wenn im Moment an der Börse irgendwo die Post abgeht, dann bei Hasch-Aktien. Eigentlich ist es die zweite große Welle. Die erste hatte Ende 2017 stattgefunden, knapp bevor Kalifornien es acht weiteren US-Bundesstaaten gleichtat und Anbau sowie Konsum von Hanf straffrei stellte. Kursvervielfachungen bei Cannabisaktien binnen Wochen waren die Regel.
Nach teils gewaltigen Rücksetzern nun also der neue Hype. Und dieser hat gleich mehrere Ursachen. Da ist nicht nur die Tatsache, dass immer mehr Länder Cannabis für den medizinischen Gebrauch liberalisieren. Da ist auch das Faktum, dass Staaten zu einer vollständigen Liberalisierung übergehen. Aktuell Kanada, wo Marihuana ab Oktober einfach wie Alkohol im Geschäft gekauft werden kann. Dennoch hat mit diesem Schritt erst gerade einmal ein Prozent der Weltbevölkerung unbeschränkten Zugang zu diesem Stoff.
Experten wittern daher eine baldige Umsatzexplosion. Der Branchendienst BDS Analytics schätzt, dass der Markt für legales Cannabis bis 2022 auf 32 Mrd. Dollar steigt. William Newlands, Vorstand des Corona-Bier-Produzenten Constellation Brands, schließt gar eine Verzwanzigfachung des vorjährigen Marktvolumens von knapp zehn Mrd. Dollar binnen Kurzem nicht aus. Europa wird prophezeit, mit Wachstumsraten von jährlich 40 Prozent zum weltgrößten Markt zumindest für medizinisches Cannabis aufzusteigen. Am Freitag wurde bekannt, dass eine dänische Firma nun den ersten CannabisIPO in Europa vollzieht.
Was die aktuelle Euphorie auf dem Cannabismarkt und bei Cannabisaktien aber zusätzlich trägt, ist, dass sich vermehrt andere Branchen für den Sektor interessieren. Gerade die erwähnte Constellation Brands hat einen Meilenstein gesetzt, indem sie vor Kurzem für vier Mrd. Dollar 38 Prozent an Canopy Growth übernommen hat, um auf Cannabisbasis Getränke zu produzieren. Die kanadische Canopy Growth ist größter Anbieter von medizinischem Marihuana. Neben der Pharma-, Tabak- und Lifestyle-Branche ist es also die Getränkeindustrie, die hier neue Geschäftsfelder wittert und daher ein Auge auf die Cannabisproduzenten geworfen hat.
Zuletzt Coca-Cola. Einem vorwöchigen Bericht des kanadischen Senders BNN Bloomberg zufolge ist der weltgrößte Getränkekonzern mit der kanadischen Aurora Cannabis im Gespräch, was beide Firmen auch bestätigten. Der Effekt: Die Aurora-Aktie stieg binnen weniger Tage von gut fünf auf gut acht Euro. Aurora selbst, die im Oktober ein Börsenlisting auch in New York plant, hatte heuer bereits kräftig auf dem Markt akquiriert.
Unterdessen will sich der weltweit fünftgrößte Brauereikonzern aus Denver, Molson Coors, mit dem kanadischen Marihuanaproduzenten Hydropothecary in einem Gemeinschaftsunternehmen zusammentun. Und laut USMedien schaut sich der britische Spirituosenhersteller Diageo, der Konzern hinter Weltmarken wie Johnnie Walker und Smirnoff, nach kanadischen Cannabisfirmen um. In welchen Dimensionen sich der Hype abspielt, zeigt das Beispiel von Tilray – der ersten PrivateEquity-Gesellschaft, die sich ausschließlich auf die Cannabisbran- che konzentriert. Sie hat die ersten Cannabis-Milliardäre hervorgebracht, weil sich ihr Börsenkurs seit Ende Juli auf 212 Euro mehr als verzehnfachte. Am Donnerstag rasselte er jedoch unter 140 Euro, am Freitag weiter unter 110 Euro.
Die Branchenaktien sind also hochriskant, zumal sie vorwiegend von Privatanlegern gehalten werden, was die Volatilität erhöht. Institutionelle Anleger gehen erst allmählich und vorsichtig in die Startlöcher. Die Cannabisfirmen fahren – wie etwa Aurora – nach wie vor Verluste ein, können zwischenzeitlich aber Kurs-Gewinn-Verhältnisse von mehreren Hundert aufweisen. Beim Branchenersten Canopy sind es 30. Dazu kommt, dass ein rascher Ausbau der US-Produktionskapazitäten zu einer baldigen Überproduktion führen könnte.