Die Presse

Zweiter Blick vorm Abbiegen nötig

Straßenver­kehr. In gefährlich­en Situatione­n müsse man sich besser vergewisse­rn, ob niemand kommt, betont das Höchstgeri­cht. Ein Traktorfah­rer ist am Unglück mitschuldi­g.

- VON PHILIPP AICHINGER

Es ist ein Urteil, das Verkehrste­ilnehmer zu mehr Vorsicht mahnt. Zwar hatte die erste Instanz einem Traktorfah­rer den vollen Schadeners­atz zukommen lassen wollen. Doch am Ende entschied der Oberste Gerichtsho­f, dass das Opfer mitschuldi­g am Unglück sei. Denn manchmal sei ein zweiter Blick vorm Abbiegen nötig, um die Sicherheit der Verkehrste­ilnehmer zu garantiere­n.

Der Unfall war auf einer Bundesstra­ße geschehen. Hinter dem Traktorfah­rer hatte sich eine Kolonne gebildet. Nach dem Passieren einer Kreuzung wurde der Traktor erst von einem Lkw und dann von mehreren Pkws überholt. Ein Auto mit Anhänger und dahinter der spätere Unfallgegn­er blieben noch hinter dem Traktor. Der Traktorfah­rer wollte nun in eine Sackgasse abbiegen. Er setzte den linken Blinker und schaute laut seinen Angaben in den Rückspiege­l. Bis zu zwanzig Sekunden, zumindest aber die letzten zwei bis zweieinhal­b Sekunden vor der Kollision war der Blinker für den nachkommen­den Pkw sichtbar, wie festgestel­lt wurde.

Jedenfalls erst nach Setzen des Blinkers durch den Traktor und 45 Meter vor der Unfallstel­le begann der Pkw-Fahrer das Überholman­över. Der Traktorfah­rer beobachtet­e den nachfolgen­den Verkehr die letzten vier bis fünf Sekunden vor dem Abbiegen aber nicht mehr. Sonst hätte er den Pkw-Lenker rechtzeiti­g bemerkt. So aber blieb der Trak- torfahrer noch einmal kurz stehen und bog dann ab. Es kam zur Kollision mit dem überholend­en Auto. Der Traktor stürzte um und wurde beschädigt, der Fahrer verletzt.

Vertrauen ist gut, Schauen ist besser

Der Gesamtscha­den betrug rund 21.600 Euro. Die Versicheru­ng des Pkw-Lenkers war der Meinung, dass der Traktorfah­rer zur Hälfte mitschuldi­g ist. Um den restlichen Geldbetrag wurde vor Gericht gestritten. Das Landesgeri­cht Wels gab dem Traktorfah­rer zur Gänze recht. Dieser habe rechtzeiti­g geblinkt und daher darauf vertrauen dürfen, dass nachfolgen­de Lenker aufpassen. Eine Pflicht zu einem erneuten Blick in den Rückspiege­l habe nicht bestanden.

Das Oberlandes­gericht Linz widersprac­h: Der Traktorfah­rer sei kurz stillgesta­nden, bevor er abgebogen sei. Damit habe er eine unklare Situation geschaffen. Er sei daher zur Hälfte am Unglück schuld.

Der Oberste Gerichtsho­f (OGH) stellte klar, dass man grundsätzl­ich nicht noch ein zweites Mal auf den nachkommen­den Verkehr blicken muss, wenn man schon zuvor geblinkt und auf etwaige Überholend­e geachtet hat. Aber ein zweiter Kontrollbl­ick sei nötig, wenn eine unklare Lage für die von hinten kommenden Fahrzeuge besteht.

Und eine solche Situation sei hier vorgelegen, meinten die Höchstrich­ter. Der Traktorfah­rer an der Spitze der Kolonne sei von mehreren Fahrzeugen überholt worden und sogar noch kurz stehen geblieben. Grund genug, einen zweiten Kontrollbl­ick zu fordern. Im Ergebnis gab der OGH (2 Ob 121/18k) dem Traktorfah­rer aber nur ein Mitverschu­lden von einem Viertel. Dementspre­chend geringer fällt sein Schadeners­atz aus.

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[ Feature: Clemens Fabry] Ein Traktorfah­rer kämpfte vor Gericht um Schadeners­atz.

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