Afghanin im Recht auf die gesetzliche Richterin verletzt
Über Asylantrag wegen drohender Zwangsverheiratung müsste eine Frau entscheiden, betont der VfGH.
„Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.“Dieses Grundrecht (Art 83 Abs 2 Bundes-Verfassungsgesetz), eines der ältesten in Österreich, ist in der rechtsstaatlichen Praxis von großer Bedeutung: Es stellt sicher, dass eine rechtsförmige Erledigung a) vom zuständigen Gericht oder der richtigen Behörde b) in der vom Gesetz vorgesehenen Zusammensetzung vorgenommen wird – und nicht etwa von einem willkürlich bestimmten Entscheidungsorgan. Eine aktuelle Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) zeigt, dass das Grundrecht auch unter dem Aspekt der Geschlechtergerechtigkeit eine Rolle spielt.
Eine Afghanin und ihr Sohn hatten in Österreich Asyl beantragt. Als Grund hatte die Frau angegeben, dass ihr Schwiegervater sie hätte heiraten wollen und sie und ihren Sohn gezwungen hätte, in seine Provinz zu übersiedeln. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl verweigerte den beiden Fremden Asyl und subsidiären Schutz und ordnete ihre Rückkehr an. Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Und zwar durch einen männlichen Richter.
Der VfGH sieht dadurch die Frau – und mit ihr den Sohn – im Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt. Oder besser: die gesetzliche Richterin. Denn laut Asylgesetz müssen Asylwerbern, die ihre Furcht vor Verfolgung auf einen Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung stützen, bei der behördlichen Vernehmung und der gerichtlichen Verhandlung oder Entscheidung Organe desselben Geschlechts gegenübertreten (außer die Betroffenen verlangen anderes). Das gilt auch bei der Furcht vor einer drohenden Zwangsverheiratung, entschied der Gerichtshof (E 1273/2018). (kom)