Kein Kulturkampf im Klassenzimmer
Ja, die Probleme an den Pflichtschulen gehören angesprochen. Aber auch Muslime müssen mitangehört werden.
Die Wiener Lehrerin Susanne Wiesinger hat ihre Geschichten gewiss nicht erfunden. Ich selbst hätte ganz ähnliche zu erzählen. Manche thematisiere ich sogar in Freitagspredigten, um das Bewusstsein meiner Geschwister dafür zu wecken, dass es Missstände gibt, die man bekämpfen muss und kann.
Was ich aber bedenklich und problematisch finde, ist, wenn Probleme in den Neuen Mittelschulen (NMS) so präsentiert werden, als ob es sich um ein „islamisches Problem“handle oder sogar bald ein Krieg zwischen den Religionen und Kulturen ausbrechen könnte.
Das Buch hat Frau Wiesinger nicht allein geschrieben. Nachdem sie Anfang des Jahres schon dankbare Interviewpartnerin für Addendum war, stellte man ihr vom Verlag Quo Vadis Veritas (QVV) einen Koautor zur Seite. Addendum, Servus TV und QVV bilden ein Mediengeflecht des Red-Bull-Besitzers, Dietrich Mateschitz. Kurzum: Wiesinger liefert die Geschichten, die ideologische Aufbereitung und mediale Inszenierung obliegt dem QVVVerlag, der mit Islambashing und Angriffen auf die Stadt Wien bereits eine Linie entwickelt hat.
Dazu kommt, dass eine völlig unzulässige Vermischung soziokultureller Schwierigkeiten unter dem Titel „Der Islam gegen uns“betrieben wird. Egal ob Deutschniveau in der Klasse, Machoverhalten von pubertierenden Jugendlichen, Umgangsformen in der Klasse – alles bekommt sofort ein „islamisches“Leiberl verpasst. Sogar Phänomene wie zuviel Spielen auf der Playstation ordnet Wiesinger dem Islam zu.
Das wäre genauso, wie wenn wir die Liebe vieler serbischstämmiger NMS-Schüler zu Kriegsverbrechern wie Radovan Karadziˇc´ oder die Verherrlichung von Srebrenica so präsentierten, als ob die christliche Orthodoxie im Klassenzimmer die Alleinherrschaft beanspruchte und wir die ganze serbische Gemeinschaft und die orthodoxe Kirche dafür verantwortlich machten.
Offenbar bewusst unterschlagen wird, dass viele muslimische Schülerinnen und Schüler Bände an Geschichten von Alltagsrassismus erzählen könnten, auch vonseiten des Lehrpersonals. Muslime selbst schweigen lieber. Sie wissen, dass man versuchen würde, das abzuschmettern, indem man ihnen die „Opferrolle“vorwirft. Vergessen wird auch, dass es nicht nur NMS gibt, sondern dass muslimische Kinder in Wien in Gymnasien, HAK, HTL und später in Universitäten vertreten sind, ohne dass Geschichten wie in der NMS vorkommen.
Katastrophal sind die politischen Reaktionen. Wiesinger erzählt von Problemen, die zu über 90 Prozent Burschen betreffen – und unsere Politiker wissen nichts anderes, als „Kopftuchverbot!“zu schreien. Nicht nur von der blau-türkisen Regierung hören wir solche diskriminierenden Forderungen. Auch Sozialdemokraten wie zuletzt Michael Schickhofer blasen schon ins gleiche Horn. Wenn hier jemand Religion missbraucht, dann sind es Politiker wie der FPÖ-Mann Johann Gudenus, der noch nie auch nur die geringste Lösungskompetenz aufgewiesen hat.
Ja, wir müssen alle Probleme ansprechen und gemeinsam behandeln; die Muslime müssen dabei eingebunden werden. Es lassen sich gewisse überschießende Verhaltensauffälligkeiten, die sich auf „den Islam“berufen (oder diesem zugeschrieben werden), auch mit einer islamischen Argumentation in die Schranken weisen. Österreichs Muslime sind dabei sicher ein essenzieller Teil der Lösung.