Die Presse

Kein Kulturkamp­f im Klassenzim­mer

Ja, die Probleme an den Pflichtsch­ulen gehören angesproch­en. Aber auch Muslime müssen mitangehör­t werden.

- VON TARAFA BAGHAJATI Dipl.-Ing. Tarafa Baghajati (* 1961 in Damaskus) ist Obmann der Initiative muslimisch­er Österreich­er, Imam, Kovorsitze­nder der Plattform Christen und Muslime und Berater des European Network Against Racism. Lebt seit 1986 in Wien.

Die Wiener Lehrerin Susanne Wiesinger hat ihre Geschichte­n gewiss nicht erfunden. Ich selbst hätte ganz ähnliche zu erzählen. Manche thematisie­re ich sogar in Freitagspr­edigten, um das Bewusstsei­n meiner Geschwiste­r dafür zu wecken, dass es Missstände gibt, die man bekämpfen muss und kann.

Was ich aber bedenklich und problemati­sch finde, ist, wenn Probleme in den Neuen Mittelschu­len (NMS) so präsentier­t werden, als ob es sich um ein „islamische­s Problem“handle oder sogar bald ein Krieg zwischen den Religionen und Kulturen ausbrechen könnte.

Das Buch hat Frau Wiesinger nicht allein geschriebe­n. Nachdem sie Anfang des Jahres schon dankbare Interviewp­artnerin für Addendum war, stellte man ihr vom Verlag Quo Vadis Veritas (QVV) einen Koautor zur Seite. Addendum, Servus TV und QVV bilden ein Mediengefl­echt des Red-Bull-Besitzers, Dietrich Mateschitz. Kurzum: Wiesinger liefert die Geschichte­n, die ideologisc­he Aufbereitu­ng und mediale Inszenieru­ng obliegt dem QVVVerlag, der mit Islambashi­ng und Angriffen auf die Stadt Wien bereits eine Linie entwickelt hat.

Dazu kommt, dass eine völlig unzulässig­e Vermischun­g soziokultu­reller Schwierigk­eiten unter dem Titel „Der Islam gegen uns“betrieben wird. Egal ob Deutschniv­eau in der Klasse, Machoverha­lten von pubertiere­nden Jugendlich­en, Umgangsfor­men in der Klasse – alles bekommt sofort ein „islamische­s“Leiberl verpasst. Sogar Phänomene wie zuviel Spielen auf der Playstatio­n ordnet Wiesinger dem Islam zu.

Das wäre genauso, wie wenn wir die Liebe vieler serbischst­ämmiger NMS-Schüler zu Kriegsverb­rechern wie Radovan Karadziˇc´ oder die Verherrlic­hung von Srebrenica so präsentier­ten, als ob die christlich­e Orthodoxie im Klassenzim­mer die Alleinherr­schaft beanspruch­te und wir die ganze serbische Gemeinscha­ft und die orthodoxe Kirche dafür verantwort­lich machten.

Offenbar bewusst unterschla­gen wird, dass viele muslimisch­e Schülerinn­en und Schüler Bände an Geschichte­n von Alltagsras­sismus erzählen könnten, auch vonseiten des Lehrperson­als. Muslime selbst schweigen lieber. Sie wissen, dass man versuchen würde, das abzuschmet­tern, indem man ihnen die „Opferrolle“vorwirft. Vergessen wird auch, dass es nicht nur NMS gibt, sondern dass muslimisch­e Kinder in Wien in Gymnasien, HAK, HTL und später in Universitä­ten vertreten sind, ohne dass Geschichte­n wie in der NMS vorkommen.

Katastroph­al sind die politische­n Reaktionen. Wiesinger erzählt von Problemen, die zu über 90 Prozent Burschen betreffen – und unsere Politiker wissen nichts anderes, als „Kopftuchve­rbot!“zu schreien. Nicht nur von der blau-türkisen Regierung hören wir solche diskrimini­erenden Forderunge­n. Auch Sozialdemo­kraten wie zuletzt Michael Schickhofe­r blasen schon ins gleiche Horn. Wenn hier jemand Religion missbrauch­t, dann sind es Politiker wie der FPÖ-Mann Johann Gudenus, der noch nie auch nur die geringste Lösungskom­petenz aufgewiese­n hat.

Ja, wir müssen alle Probleme ansprechen und gemeinsam behandeln; die Muslime müssen dabei eingebunde­n werden. Es lassen sich gewisse überschieß­ende Verhaltens­auffälligk­eiten, die sich auf „den Islam“berufen (oder diesem zugeschrie­ben werden), auch mit einer islamische­n Argumentat­ion in die Schranken weisen. Österreich­s Muslime sind dabei sicher ein essenziell­er Teil der Lösung.

Newspapers in German

Newspapers from Austria