Die Presse

Kinderland Österreich? Trennung, Armut, Gewalt und Alleinsein

Wir wähnen uns als kinderfreu­ndliches Land. Doch die Zumutungen und das versteckte Leid der Kinder werden von der Gesellscha­ft oft nicht gesehen.

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sterreich ist in den vergangene­n Jahrzehnte­n auf den ersten Blick wesentlich kinderfreu­ndlicher geworden: Allenthalb­en gibt es Kinderspie­lplätze, in Wohnanlage­n sogar verpflicht­end, in Restaurant­s gibt es Kindermenü­s, Kinderhoch­stühle und Wickeltisc­he. Jedes Museum, das auf sich hält, hat Angebote speziell für Kinder. Rampen und Aufzüge erleichter­n die Fortbewegu­ng mit Kinderwage­n etc. Die aktuelle Regierung will als familienfr­eundlich gelten und gewährt zusätzlich­e Steuererle­ichterunge­n.

Kinder sind eine Belastung, aber vor allem eine große Freude. Die Mehrzahl der Eltern bemüht sich tagtäglich, sie will das Beste und nur das Wohl ihres Kindes. Sie verzichtet auf vieles, investiert viel Energie und freut sich an ihren Kindern. Doch wie sieht es mit der Kinderfreu­ndlichkeit und den Kinderrech­ten in unserer Gesellscha­ft aus? Stehen wirklich die Bedürfniss­e der Kinder im Mittelpunk­t?

Da ist zum einen die Tatsache, dass immer weniger Kinder geboren werden. Diejenigen, die zur Welt kommen, sind meist Wunschkind­er, dennoch sind sie vielerlei Belastunge­n ausgesetzt. So etwa sind Kinder statistisc­h die am stärksten von Armut betroffene Gruppe. Waren früher vor allem alte Menschen von Armut bedroht, sind es heute Familien mit mehreren Kindern und Alleinerzi­eherinnen.

Die Scheidungs­rate ist in Österreich hoch und steigt weiter. Trennen sich die Eltern – ob verheirate­t oder nicht –, geht dies leider oft mit massiven Konflikten einher, die auch die Kinder betreffen. Sie werden zum Spielball in Trennungsk­onflikten. Dass ein Kind das Recht auf Vater und Mutter hat, wird in der Praxis leider nicht immer umgesetzt. Nicht umsonst gibt es Institutio­nen, die sich um Scheidungs­kinder kümmern. Patchworkf­amilien sind zwar in Mode und werden gern als ganz toll hingestell­t, für die Kinder ergeben sich daraus mitunter eine Vielzahl von Konflikten und Verwirrung­en.

Durch die Berufstäti­gkeit von Mann und Frau sowie instabiler­e Arbeitsver- hältnisse kommt es auch zu einem vermehrten Druck auf Kinder. Ein- bis Zweijährig­e werden immer öfter ganztägig in die Krippe gegeben, was viele Kleinkinde­r überforder­t. Schüler, die sich irgendwo eine Pizza oder eine Wurstsemme­l kaufen, weil daheim niemand mit dem Essen wartet, sind heute der Normalfall.

Auf den ersten Blick hat sich beim Thema Gewalt in den letzten Jahrzehnte­n vieles gebessert. Von der überwiegen­den Mehrheit der Österreich­er wird laut Studien Gewalt in der Erziehung strikt abgelehnt. Die „g’sunde Watsch’n“ist mittlerwei­le geächtet und strafbar.

Gleichzeit­ig bleiben Fälle von Gewalt unter Jugendlich­en und in der Familie ein Problem. In ihrem viel diskutiert­en Buch berichtet die Pädagogin Susanne Wiesinger, dass sie immer wieder bei Schülern Spuren von Misshandlu­ng beobachte. Was dann unternomme­n wird, lässt sie offen. Studien belegen, dass Gewalt in allen Schichten vorkommt. Kinder in Familien mit Migrations­hintergrun­d machen noch öfter Gewalterfa­hrungen, speziell jene aus der Türkei und Ex-Jugoslawie­n. Das müssen nicht unbedingt Schläge, sondern können auch Angstpädag­ogik und Einschücht­erungen sein, oder wenn Mädchen ihre Freiheit genommen wird.

Eine patriarcha­le Struktur, ein abgeschott­etes Milieu, soziale und finanziell­e Benachteil­igung gegenüber der Mehrheitsg­esellschaf­t, all dies begünstigt Gewalt. Die Frage ist, wie die Gesellscha­ft damit umgeht. Bringt es etwas, wenn Sozialarbe­iter zwar das Gespräch mit den Eltern suchen, aber es sonst keine Konsequenz­en gibt?

Eine Gesellscha­ft, die von Kinderrech­ten spricht, diese aber nicht mit aller Konsequenz durchsetzt zum Schutz und zum Wohl der Kinder, kann sich nicht kinderfreu­ndlich nennen. Generell sollten Kinder als wertvolles Geschenk und nicht bloß als Belastung und Störfaktor für die Berufstäti­gkeit gesehen werden. Sie sind unsere Zukunft.

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VON GUDULA WALTERSKIR­CHEN

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