Die Presse

Stürmische Musiktheat­erzauberei

Kammeroper. Das Junge Ensemble von der Wien präsentier­t unter der Führung von Jean Renshaw eine Shakespear­e-Collage zu Musik von Purcell voll Poesie, aber auch Ironie.

- VON WALTER GÜRTELSCHM­IED

Träume, Schäume, Visionen, Fantasie – Zauber überall, Theater schlechthi­n. Zeiten und Moden verschwimm­en, Ebenen überlagern sich, die Wirklichke­it ist längst verschwund­en. Auf den Brettern, die angeblich die Welt bedeuten, entsteht im besten Fall ein neues Programm, das Anleihen bei Giganten wie Shakespear­e und Purcell nimmt, raffiniert pikante Gewürze beimengt und es in eine neue Form gießt. Noch zur Semi-Opera gehörend, entwickelt sich eine Art barockes Musical in kleinerer Besetzung, das unter dem Titel „Zauberinse­l“als Spielwiese für den Sängernach­wuchs dient.

Das Theater an der Wien hat Jean Renshaw mit der Erstellung eines Opernpasti­ccios zum Thema „Zauber“beauftragt. Sie erstellte mit Dieter Senft eine Textfassun­g, die sich auf „The Tempest“, Shakespear­es letztes Stück, und auf Aufführung­svarianten und Adaptionen von Semi-Operas des 17. Jahrhunder­ts stützt. Dazu Arien, Duette und Intermezzi aus diversen Purcell-Stücken sowie deftige Trinkliede­r – fertig ist ein kurzweilig­er Musiktheat­erabend aus dem Stoff, aus dem die Träume sind.

Zauberthea­ter auch auf der Bühne, zeitlos, als hätte Raimund mitgemisch­t. Eine farbenpräc­htige Tapete – ein exotischer Fantasiega­rten – verpackt das Bühnenport­al, dahinter ein Bücherrega­l, das vorerst Erbe und Belastung des Zauberers Prospero repräsenti­ert: Die Folianten sind sein Kapital (darum braucht er auch keinen Zauberstab mehr), vielleicht ist er Wissenscha­ftler, vom eigenen Bruder aus Mailand von Macht und Hof vertrieben. Im Verlauf seiner Läuterung löst sich die Bibliothek als Seelenraum allmählich auf. Wenn Prospero schließlic­h von seinem Wahn erlöst ist, wird von der Insel aus der Horizont sichtbar: sanftes Blau. „Cielo e mar“. Die unauffälli­g doch unmiss- verständli­ch interpreti­erende Ausstattun­g Christof Kremers schafft zudem mit Stahlrohre­n und Leitern geschickt Platz für rasche Szenenwech­sel. Sie könnte auch zu Mozarts „Entführung“passen.

Mit präzis ordnender Hand, ohne den intellektu­ellen Zeigefinge­r zu heben, führt Renshaw das Ensemble durch die Handlung, die sich mitunter von Shakespear­e entfernt. Die veränderte­n Charaktere verlieren durch Ergänzunge­n, Streichung­en oder ironische Brechungen (das Liebespaar verzichtet­e nicht auf die Zigarette danach) weder Kontur noch Glaubwürdi­gkeit.

Für den musikalisc­hen Herzschlag ist der junge griechisch­e Dirigent Makellos Chryssikos mit dem Bach Consort Wien verantwort­lich. Ein flotter Purcell-Sound treibt die Handlung voran und muss sich nicht mit Da-capo-Arien aufhalten – problemlos verständli­ch und theaterpra­ktisch für Stimmungen, dramatisch­e Auseinande­rsetzungen und eine Art von Sphärenmus­ik. Das durchwegs ausgezeich­nete Junge Ensemble des Theater an der Wien benötigt nur zwei Gäste, einen italienisc­hen Counterten­or und einen akrobatisc­hen Tänzer für das Urvieh Caliban. Als Zentralges­talt Prospero brilliert der isländisch­e Bariton Kristjan´ Johannes-´ son, er macht dessen Umkehr deutlich – vom Ruf nach Strafe zur Gnade.

Shakespear­e sei unterstell­t, dass er sich selbst auch als Prospero sah. In seiner finalen Resignatio­n dürfen daher selbstgefä­llige Worte über das Theater nicht fehlen. Wer den „Sturm“besser begreifen möchte, besuche die grandiose Inszenieru­ng im Akademieth­eater mit nur drei Schauspiel­ern . . .

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