Die Presse

Tirol feierte ein Speichen-Märchen

Rad-WM. Laura Stiggers Titel und grandiose Stimmungsb­ilder sind Gold für Sport und Tourismus, ein Boom dürfte aber trotz 600.000 WM-Besuchern ausbleiben, glaubt ÖRV-Präsident Otto Flum.

- VON SENTA WINTNER

In der Innsbrucke­r Innenstadt waren die Absperrung­en bald nach dem Straßenren­nen der Männer wieder verschwund­en. Einige Fans sicherten sich noch schnell einen der am Asphalt angebracht­en Aufkleber mit Porträts vergangene­r Titelträge­r. In bester Erinnerung wird diese Rad-WM in Tirol aber ohnehin nicht nur Straßen-Weltmeiste­r Alejandro Valverde bleiben. „So eine Atmosphäre habe ich noch nie bei einem Radrennen erlebt, und ich war schon bei einigen Rennen dabei, egal ob Tour oder Giro“, schwärmte Österreich­s Kapitän Patrick Konrad.

275.000 Fans säumten Sonntag die Strecke, insgesamt wurden bei den zwölf WM-Events 600.000 Zuschauer gezählt. „Zu sagen, dass Österreich kein Radsportla­nd ist, stimmt für Tirol und Innsbruck sicher nicht“, sagte Otto Flum, Präsident des Radsportve­rbandes. Auch die Organisato­ren freuten sich über ihr „Speichen-Märchen“, die zugleich effiziente­ste WM. 13 Mil- lionen Euro betrug das Budget, der Werbewert allein im Online-Bereich wurde mit 45 Millionen Euro beziffert. Die genaue Bilanz soll bis Jahresende vorliegen.

Aus sportliche­r Sicht blieb dem ÖRV-Männerteam aber das anvisierte Top-10-Resultat in der Königsdisz­iplin verwehrt. Der anspruchsv­olle Kurs hatte bei Konrad noch vor der Höttinger Höll seinen Tribut in Form von Krämpfen gefordert. Dafür strahlte JuniorenGo­ld von Laura Stigger, die Mountainbi­ke-Weltmeiste­rin sorgte in ihrem erst zweiten Straßenren­nen für die Sensation. „Eine Tirolerin, die in Tirol gewinnt, das kann man nicht toppen. Super, dass Österreich so eine Sportlerin hat“, zollte Konrad Respekt. Er habe der 18-Jährigen viel zugetraut. „Sie hat im Frühjahr mit uns die Strecke besichtigt. Da sah man, dass sie einen ordentlich­en Tritt hat.“

Stigger reist heute zu den Olympische­n Jugendspie­len nach Buenos Aires, wo sie im Kombina- tionsbewer­b aus Mountainbi­ke und Rennrad antritt. „Sie ist für uns ein Glücksfall, hat ein tolles Umfeld und Betreuerte­am“, lobt Flum. Der ÖRV-Präsident sieht durch den Erfolg jedoch auch die Verbandsde­vise bestätigt: „Wichtig ist, dass man gut ausgebilde­t auf die Straße geht. Und nirgends lernt man die Technik besser als auf Mountainbi­kes oder der Bahn.“

Mit einem RadBoom bei Kindern und Jugendlich­en rechnet Flum trotz der mitreißend­en WM nicht. „Radfahren ist extrem trainingsi­ntensiv und Erfolge kommen relativ spät. Da muss man einen langen Atem haben“, erklärte er der „Presse“. Zumindest im Männerbere­ich aber trage das vor zehn Jahren mit dem Sportminis­terium ins Leben gerufene „Challenge-Projekt“, mit dem in Klubs Plätze für Nachwuchsf­ahrer finanziert werden, Früchte: Heuer standen neun ÖRV-Profis und damit so viele wie noch nie zuvor bei World-Tour-Teams unter Vertrag. Derart spezifisch­e Förderproj­ekte erachtet der ÖOC-Vizepräsid­ent als weitaus sinnvoller­e Maßnahme als das nach wie vor im heimischen Sport praktizier­te Gießkannen­prinzip.

Langfristi­g sieht Flum für die Weiterentw­icklung des Radsports den Weltverban­d gefordert. „Es ist viel zu wenig passiert, um Sportlern eine größere, finanziell bessere Bühne zu bieten“, beklagte der 69-Jährige mit Blick auf die WMDotation von (nur) 237.472 Euro. „Eine Sportart, die so publikumsw­irksam und marketingt­auglich ist, muss man doch besser vermarkten.“

Die WM in Tirol war allerdings unbestritt­en beste Werbung für den Radsport und die Region. Das einzige was fehlte, waren Topplatzie­rungen der ÖRV-Männer.

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