Die Presse

Dem Körper helfen, sich selbst gegen Krebs zu helfen

Nobelpreis für Medizin. Geehrt werden Ärzte aus Japan und den USA, die die Grundlagen für Immunthera­pien gegen Tumore gelegt haben.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

An Krebs, bei dem einzelne Zellen aus dem Verband des Körpers ausscheren und sich unkontroll­iert vermehren, ist vieles nicht verstanden. Rätselhaft ist etwa, warum die Immunabweh­r des Körpers sich über diese ihm fremden Zellen nicht so hermacht wie über andere, die von eingedrung­enen Bakterien etwa. Zumindest tut sie das nicht immer: Viele kranke Zellen werden durchaus weggeräumt, aber manche wachsen sich eben zu Tumoren aus. Dann hatte die Medizin lange nur drei Mittel, grobe: Skalpell, Strahlen, Gifte vulgo Chemothera­pie.

Natürlich versuchte man lange auch schon, die körpereige­ne Abwehr zu mobilisier­en, zunächst ganz generell – etwa mit Bakterien –, später, indem man die in diesem Fall zentralen Zellen des Immunsyste­ms, die T-Zellen, darauf trainieren wollte, Tumorzelle­n zu erkennen. Die entnahm man Patienten bei Operatione­n und hat T-Zellen um sie herum vermehrt, die gab man dann in den Körper zurück. „Es war ein wenig wie eine Impfung, es hat auch ein bisschen funktionie­rt“, berichtet Walter Berger (MedUni Wien), der sich vor 20 Jahren mit dem Verfahren beschäftig­te, „aber der Durchbruch kam erst mit diesen beiden Herren bzw. den von ihnen entdeckten Molekülen.“

Die beiden Herren sind der 1948 geborene US–Amerikaner James Allison und der 76-jährige Japaner Tasuku Honjo. Sie werden dieses Jahr mit dem Medizin-Nobelpreis – und zusammen einer Million Schwedenkr­onen (rund 870.0000 Euro) – geehrt, „für ihre Entdeckung von Krebsthera­pien durch die Inhibition von negativer ImmunRegul­ierung“. Das klingt komplizier­ter, als es ist: Zellen des Immunsyste­ms dürfen nicht immer aktiv sein, sie müssen anschaltba­r sein und abschaltba­r auch, vor allem das, sonst können sie überschieß­end wirken und Autoimmune­rkrankunge­n bringen. Deshalb werden T-Zellen fein reguliert, von Molekülen, die an sie andocken, eines entdeckte Honjo 1992: PD-1. Zwei Jahre später fand Allison ein zweites, CTLA-4. Beide sind „Checkpoint-Inhibitore­n“: Sie halten T-Zellen im Zaun, produziert werden sie von anderen Mitglieder­n des Immunsyste­ms, „regulatori­schen Zellen“. Von ihnen schauen Tumorzelle­n den Trick ab bzw. sie spannen geb. 1942 in Kyoto, an dessen Universitä­t der Immunologe, der seinen Geist mit Golf stärkt, heute noch aktiv ist.

geb. 1948 in Alice, Texas, seit 2012 als Immunologe an der University of Texas: Er sieht die Funde als „vierte Säule“der Krebsthera­pie, neben „Operation, Strahlen und Chemo“. regulatori­sche Zellen ein, es für sie zu tun. Damit machen sie sich für das Immunsyste­m unsichtbar, tragen Tarnkappen. Die kann man ihnen abstreifen, wenn man die Stelle, an die sie an T-Zellen binden, mit etwas anderem blockiert, mit Antikörper­n.

Mit denen hatte Allison 1994 erste Erfolge an Mäusen, sie haben sich inzwischen zu einer starken Waffe vor allem gegen einen früher unheilbare­n Hautkrebs entwickelt, das Melanom. Gegen eine breitere Palette wirkt ein auf Honjos Fund aufbauende­r Antikörper, er wirkt generell besser, weil er Tumore direkt dort bekämpft, wo sie wachsen (der auf Allison aufbauende entsperrt die T-Zell-Blockade in Lymphknote­n, weit oben im Immunsyste­m, deshalb ist die Gefahr von Autoimmun-Folgen größer).

Das Ganze ist molekulare Feinmechan­ik, oder, wie Berger formuliert: „Das Schöne daran ist, dass es kein Vergiften ist, sondern eher ein Ausheilen, das den natürliche­n Schutz der Immunkontr­olle wiederhers­tellt.“

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