Bruegel: Große Show auf dem Holzweg
Kunsthistorisches Museum. Die weltweit erste Einzelausstellung von Pieter Bruegel dem Älteren glänzt, aber auch durch Understatement. Man konzentrierte sich auf die Malweise, nicht auf Deutungen. Und bleibt so zumindest sehr korrekt.
Eine „Once in a lifetime“-Ausstellung sei das, so der Werbetext zur BruegelAusstellung, und das ist die erste Untertreibung. Noch nie waren derart viele Gemälde Pieter Bruegel d. Ä. (1525/30–1569) öffentlich zu sehen, und werden es vermutlich auch nie mehr. Denn die auf millimeterdünnes Holz gemalten Tafelbilder des flämischen Renaissance-Meisters gehören zu den bestgehüteten Museumsschätzen weltweit. Zur Zeit sind ihm nur 41 zugeschrieben. Fast ein Drittel davon befindet sich dank Rudolf II. und dessen Bruder Ernst in der KHMSammlung. Wenn also irgendwo eine Bruegel-Personale möglich ist, dann hier.
Und jetzt sind sie also da, zur Feier des 450. Todesjahrs Bruegels 2019: 15 TafelbildLeihgaben aus Berlin, Prag, Madrid, Antwerpen etc. Nur die Ungarn verwehrten in letzter Minute die Ausfuhr der Johannes-Predigt. Auch das Metropolitan New York konnte sich von der „Kornernte“(Sommer) nicht trennen, beides bedauerliche Lücken. So sind von den heute noch fünf der ursprünglich sechs Jahreszeiten-Bilder (eines ging verloren) mit der „Heuernte“aus der Lobkowicz-Sammlung zumindest vier wieder vereint – auf einer langen Wand, ein Erlebnis. Genauso wie der direkte Vergleich des „großen“Wiener und des „kleinen“Rotterdamer Turmbaus zu Babel: Wie Tag und Nacht! Der Wiener licht, bevölkert, menschlich in seinen Dimensionen und der Betonung der harten Arbeit. Der Rotterdamer dagegen dunkel, nahezu totalitär in seiner Architektur, die Menschen auf ihm kleiner als Ameisen. Ein unheimliches Bild, ein großer Moment.
Dennoch ein Eck-Kabinett, in dem man die Schwächen dieser Jahrhundert-Ausstel- lung festmachen kann: Auch wenn man sich um die international übliche dramatische Inszenierung bemüht hat – die Galerie wurde großzügig leergeräumt, man färbte die Wände in satten Farben ein, arbeitet mit wandgroß ausgedruckten Bildausschnitten – bleibt doch das gewohnte KHM-Understatement spürbar. Man verzichtet darauf, den Raum auszublenden, sieht immer die Wandverkleidung, die Fenster. Das ermöglicht Tageslicht, sorgt aber auch, blickt man etwa von einem Turm zum anderen, für ästhetische Irritation durch hervorblitzende Fensterrollos etwa. Ganz eintauchen kann man nie in eine andere Welt, man bleibt doch immer im KHM.
Keine Tragödie, aber ein wenig prosaisch. Dazu passt der viele Raum, der historischen und technischen Fakten gewidmet ist, der Rezeptionsgeschichte Bruegels etwa, die über die Jahrhunderte durch viele Tiefen und Höhen, über Bildbeschneidungen und Depotverräumungen zur Nationalheiligsprechung bis zum Merchandising-Rummel wie im letzten Raum führt.
Es wundert einen, dass es hier nicht auch Röntgenapparate zu kaufen gibt, denn der Schwerpunkt der thematisch und chronologisch mäandernden Schau liegt auf Bruegels Technik. Die Kabinette sind den teils neuen Erkenntnissen zu Malschichten, Holzuntergrund, Entstehungsweise gewidmet, die in der KHM-Restaurierung dank eines US-Getty-Foundation-Projekts in zwölf Jahren eruiert wurden. Auf einer Homepage kann man sich in alle Details der Wiener Bilder hineinzoomen (www.insidebruegel.net).
Was dabei in den Hintergrund tritt, sind die Deutungen der Bilder. In der Ausstellung beruft man sich großteils auf ihre Rätselhaftigkeit, erinnert an Bruegels prinzipielle humanistische Kritik an Gesellschaft und Kirche. Weit lehnt sich das Kuratoren-Team (Sabine Penot, Elke Oberthaler aus dem KHM, Manfred Sellink, Ron Spronk aus Belgien) nicht hinaus. Das tut dafür der neue Taschen-Verlag-Band zu Bruegels „Gesamtwerk“; hier liest man die zeitgenössische, vielleicht ja auch zeitgeistige Interpretation dieses Vielinterpretierten: Von wegen „Bauern-Bruegel“und drolliger Wimmelbildner.
Er soll Anhänger Sebastian Francks gewesen sein, des von Katholiken wie Lutheranern verfemten Theologen, der gegen jegliche kirchliche Autorität sowie das Abbild Gottes in Bibel und Bild wetterte. Muss man daher in Bruegels Alltagsszenen die Heiligen immer suchen? Ist der Rotterdamer Turm mit seinen vielen versteckten Kirchen Sinnbild für die damalige Religions-, nicht für die biblische Sprachverwirrung? Mutmaßungen, aber spannende. In der Schau hält man sich lieber an baltisches Holz und Röntgenblick.
Das rächt sich, wenn man von der Sonderausstellung in die Rubens-Säle des KHM entlassen wird, mitten hinein dessen „modernes“Wimmelbild eines Venus-Festes. Der Barockmaler, nur zehn Jahre nach Bruegels Tod geboren, hatte eine der größten Bruegel-Sammlungen seiner Zeit. Warum er, der Diplomat der spanischen Katholiken, der größten Autorität? Vielleicht war es ja tatsächlich die Malweise. Oder Rubens Erinnerung an seine protestantischen Eltern, mit denen er als Kind nach Köln fliehen musste.