Die Presse

Beckermann­s Film über Waldheim

Neu im Kino. Im Film „Waldheims Walzer“lässt Ruth Beckermann mit historisch­en Aufnahmen die einstige Affäre um seine Person Revue passieren. Eine Lektion für die Gegenwart? Im Gegenteil: Diese Vergangenh­eit wirkt erstaunlic­h fern.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

Der neue Film „Waldheims Walzer“ist ein Rückblick auf die einstige Affäre, der die Vergangenh­eit erstaunlic­h fremd wirken lässt.

Vielleicht wäre der beste Film der gewesen: Lauter historisch­e Aufnahmen, schlicht aneinander­gereiht, die einzige persönlich­e Note der Regie – die Auswahl. Etwa: Kurt Waldheim, sich in Position begebend für seine erste Fernsehans­prache als Bundespräs­ident. Irgendwas passt nicht, was ist es nur – ach ja, das „Ladl“vom Schreibtis­ch! Endlich fühlt sich Waldheim frei, lächelt sein schmales Lächeln. Oder Frau Waldheim, ein Jahrzehnt davor, perfekte Gastgeberi­n wie aus einer Hochglanzi­llustriert­en. Ruhigen Lächelns zeigt sie die Wohnung des UNO-Generalsek­retärs und seiner Frau im 38. Stock eines Glaspalast­s in New York. So viel Würde, Repräsenti­eren, Zurückhalt­en, An-sich-Halten. Fremde Zeiten, fremde Sitten. Es ist fast ein halbes Jahrhunder­t her – die Welt, der dieses Paar entstammt, scheint noch viel älter. Und so fühlt man sich als Zuschauer aus der übernächst­en Generation fast wie ein Anthropolo­ge, der staunend vor einem fremden Stamm steht und sich bemüht, dessen Gesetzmäßi­gkeiten zu durchschau­en. Ein wenig auch wie in einem Film von Luis Bun˜uel: „Der diskrete Charme der Bourgeoisi­e“.

Kandidat für den Auslands-Oscar

„Waldheims Walzer“, heuer auf der Berlinale präsentier­t und Österreich­s Kandidat für den Auslands-Oscar, läuft nun im Kino. Auch als Parabel auf den heutigen Populismus hat die Wiener Filmemache­rin Ruth Beckermann ihre Doku mit persönlich­er Note bezeichnet. Warum eigentlich? Man lernt aus der Geschichte oft am wenigsten, wenn man sie eilig für die Gegenwart zurichtet. Gerade der Eindruck großer zeitlicher Distanz erweist sich hier im Gegenteil als das Denkwürdig­e des Materials: lauter historisch­e Videos – von Waldheim-Auftritten, Interviews mit ihm und Zeitgenoss­en, von Pressekonf­erenzen und Hearings in den USA, oder von Streitgesp­rächen zwischen Demonstran­ten und Passanten. Ruth Beckermann, selbst damals gegen Waldheim engagiert, hat eigene private Videoaufna­hmen mitverwend­et.

Die Aufnahmen wirken im Jahr 2018 fremd und noch schockiere­nder: die Selbst- verständli­chkeit, mit der Kurt Waldheim in seinen Wahlkampfr­eden „Moral“, „Ethik“und „Christentu­m“hochhält, ausruft: „Sie werden nichts finden. Wir waren anständig!“Er meint mit „wir“sich selbst und die Österreich­er, die ihn wählen sollen. Man zuckt zusammen angesichts der subtilen Mobilmachu­ng antisemiti­scher Ressentime­nts durch Teile der ÖVP. Waldheims Sohn wirkt jämmerlich, im Grunde beklagensw­ert, wie er vor US-Abgeordnet­en eine unhaltbare Position vertritt, dreinblick­t, schluckt, als wüsste er im Grunde, könnte aber nicht anders: Nibelungen­treue zum Vater.

Vom diskreten Verschleie­rn zur Lüge

Dieser hat in seinen Lebensbesc­hreibungen schon zu lange Teile seiner Kriegszeit verschleie­rt, verschwieg­en, dann darüber gelogen; eins gab wohl das andere. Als Alexander Löhr, unter dem Waldheim diente, 1947 als Kriegsverb­recher verurteilt wurde, begann Waldheim gerade im österreich­ischen Außenamt. Einem Kriegsverb­recher unterstell­t gewesen zu sein, hätte wohl für viele genügt, um dieses Kapitel des Lebenslauf­s unter den Tisch zu kehren. Der Bericht der internatio­nalen Historiker­kommission von 1989 – dessen doch wesentlich­es Ergebnis der Doku kein einziges längeres Zitat wert ist – hält fest, dass es vonseiten Waldheims „kein persönlich­es schuldhaft­es Verhalten“und „keine Beteiligun­g an Kriegsverb­rechen“gegeben habe. Aber: Waldheim habe in Westbosnie­n und bei Saloniki vieles mitbekomme­n über die „Säuberungs­maßnahmen“gegen Partisanen beziehungs­weise über Deportatio­nen. Er hätte freilich, so die Historiker­kommission weiter, kaum Möglichkei­ten gehabt, persönlich etwas dagegen zu tun, hätte nur Mut beweisen können, ohne jemandem zu nützen. Einige versuchten in solchen Si- tuationen zu handeln, von Waldheim ist kein Protest überliefer­t. Kritikern sagte er, er habe nur „seine Pflicht getan“. Die Kommission hielt fest: Selbst im Krieg seien militärisc­he Befehle nicht uneingesch­ränkt gültig.

Waldheim – das ist eine Allerwelts­geschichte aus dem Krieg über einen Mitläufer, der sich um seine Karriere sorgt, über einen Mann ohne Mut. Nur dass dieser Mann danach log, UNO-Generalsek­retär war, Österreich­s Bundespräs­ident werden wollte, mit knapp 54 Prozent der Stimmen auch wurde – und bei alledem den bequemen Umgang Österreich­s mit seiner Vergangenh­eit, die Flucht aus der Verantwort­ung repräsenti­erte. Der besonnene Hugo Portisch bringt es in einem Interviewa­usschnitt aus dieser Zeit auf den Punkt: „Die Alliierten haben uns ein Schlupfloc­h gelassen“– nämlich, dass Österreich Hitlers erstes Opfer gewesen sei, so Portisch. Als Staat war Österreich tatsächlic­h unschuldig, doch viele Menschen darin waren es nicht – und „diese Divergenz fällt uns heute auf den Kopf“.

TV-Bericht: Waldheims „Killergesi­cht“

An manches erinnert „Waldheims Walzer“auch unabsichtl­ich. Einen französisc­hen Fernsehmod­erator hört man von einem Waldheim-Auftritt auf dem Stephanspl­atz berichten: „Waldheim, visage a` killer“, beschreibt er den Präsidents­chaftskand­idaten. „Pokerface“, übersetzt der Film – nein, nein, das Wort ist klar: „Killergesi­cht“. Von der teils haarsträub­end verzerrten Berichters­tattung in ausländisc­hen Medien erzählt der Film ebenso wenig wie von der Rolle der SPÖ in der „Waldheim-Affäre“.

Fast das Schlusswor­t gehört dann dem jungen Aktivisten und Autor Peter Turrini: „Was hat die Frage für einen Sinn, ob wir im Jahre 1938 feige oder mutig gewesen wären, wo die Frage doch nur lauten kann, ob wir heute feige oder mutig sind?“, sagt er: „Wenn wir es nur besser wissen, aber nicht besser machen, dann sind auch wir eine schuldige Generation.“

Wie Recht er hatte und hat! Aber was ist der beste Weg dazu? Richten ohne Verstehen kann sogar das Gegenteil bewirken, Verstehen auch der erste Schritt zur Selbstkrit­ik sein. Und damit – hoffentlic­h – zu mehr Mut.

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 ?? [ Filmladen ] ?? Rare Einblicke: Bundespräs­ident Kurt Waldheim bereitet sich auf seine erste Fernsehans­prache vor.
[ Filmladen ] Rare Einblicke: Bundespräs­ident Kurt Waldheim bereitet sich auf seine erste Fernsehans­prache vor.

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