Gewerkschaft trainiert für Streik
Kollektivverträge. Internationale Streikexperten beraten bei der Organisation von Kampfmaßnahmen. Die Lohnverhandlungen sind diesmal schwierig, Arbeitnehmer wie Arbeitgeber stellen hohe Forderungen.
Wien. Die Sozialpartner halten sich bedeckt. Immerhin haben sie zu den anlaufenden Kollektivvertragsrunden mediale Zurückhaltung vereinbart – nur ja in der Öffentlichkeit keine Eskalation provozieren. Hinter den Kulissen geht es aber weniger harmonisch zu.
Die Metaller haben den Verhandlungsreigen bereits gestartet und eine ergebnislose Runde hinter sich. In vielen anderen Branchen laufen die Vorbereitungen für die Gespräche. Erste Schriftwechsel zwischen den Vertretern von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gibt es bereits. Diese skizzieren vor allem eines: Alle Seiten warten diesen Herbst mit ungewöhnlich hohen Forderungen auf, die vom Gegenüber wohl vielfach als Affront interpretiert werden.
So will die Gewerkschaft ein Recht auf eine Vier-Tage-Woche, großzügige Lohnerhöhungen, hohe Überstundenzuschläge – und einen Kündigungsschutz für Mitarbeiter, die den Zwölf-Stunden-Tag verweigern. Die im Gesetz festgehaltene Freiwilligkeit dürfe kein Lippenbekenntnis bleiben, heißt es. Die Gewerkschaft fordert außerdem eine Sonderverhandlungsrunde, die sich nur mit dem Thema Arbeitszeit beschäftigt.
Auf der anderen Seite stehen die Vertreter von Wirtschaft und Arbeitgebern. Sie wollen mehr Arbeitszeitflexibilisierung, gewisse kollektivvertragliche Tageshöchstarbeitszeiten sollen gestrichen werden. Naturgemäß sprechen sie sich auch für weniger üppig ausfallende Lohnerhöhungen aus. In manchen Branchen wird die Abschaffung von kollektivvertraglichen Zuckerln in die Waagschale geworfen. Dazu gehören etwa extra freie Tage bei Todesfällen Angehöriger, Geburten, Hochzeiten oder Umzug.
Streik-Knigge
Die Gewerkschaft bereitet auch ihr gewichtigstes Druckmittel vor: Streik. Und das sogar mit professioneller Hilfe aus dem Inund Ausland. Aus hochrangigen Gewerkschaftskreisen erfuhr „Die Presse“, dass man mit Streikexperten zusammenarbeitet, die bereits Erfahrung bei der Organisation von Großstreiks in Europa und den USA vorzuweisen haben. Die professionellen Widerständler sollen Gewerkschaften und Be- triebsräte auf Kampf einstimmen, ihr Knowhow zu Mobilisierung und Öffentlichkeitsarbeit weitergeben. Rechtliche Rahmenbedingungen werden derzeit ausgelotet.
Darüber hinaus sollen die Streikexperten auch in die Betriebe gehen, um dort Schulungen abzuhalten. Um bei einem Streik nicht Gefahr zu laufen, gekündigt zu werden, sind gewisse Verhaltensregeln wichtig: So muss jeder Streik in einer gewissen Frist an- und auch wieder abgemeldet werden. Es empfiehlt sich, auch an Streiktagen überpünktlich am Arbeitsplatz zu erscheinen; und wer krank ist, muss trotzdem eine Krankmeldung vorlegen. Eine geordnete Kommunikation mit der Betriebsleitung ist ebenfalls entscheidend.
Im Großen und Ganzen sollen die internationalen Streikexperten also dem sonst als harmoniebedürftig geltenden Österreicher eine Anleitung zum Ungehorsam mitgeben.
Die Zwickmühle der Sozialpartner
Dass die Gewerkschaft (aber auch die Gegenseite) dieses Jahr so aggressiv an die Verhandlungen herangeht, ist nicht nur harte Klientelpolitik oder ein strategischer Kontrapunkt, den die rot geprägte Gewerkschaft zur türkis-blauen Regierung setzen will.
Sondern es geht dieses Mal für die Sozialpartner, wie manche ihrer Vertreter behaupten, gar um ihre Existenz. Denn die türkis-blaue Regierung hat die Sozialpartnerschaft vielfach infrage gestellt, an ihren Säulen gerüttelt und sie in ihrer Macht beschnitten, Stichwort Sozialversicherungsreform. Umso mehr muss die altgediente rotschwarze Allianz aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern nun zeigen, dass sie noch funktioniert, ja sogar unverzichtbar ist.
Stark sind die Interessenvertreter allerdings nur, wenn sie möglichst viele Mitglieder hinter sich scharen können – und das gelingt, wenn sie im Interesse ihrer Klientel möglichst viel herausholen. Andererseits müssen nun in den Verhandlungsrunden rasch Kompromisse erzielt werden, um sich nicht wieder den Vorwurf des Stillstands oder der Behäbigkeit gefallen lassen zu müssen.
Die Regierung hat sich zuletzt einmal mehr in die Angelegenheiten der Sozialpartner eingemischt, indem sie einen „spürba- ren“Lohnanstieg gefordert hat. Schafft man dies in den Augen der Regierung nicht, liefern die Sozialpartner der türkis-blauen Koalition eine Steilvorlage für Kritik.
Und als ob das nicht schon alles kompliziert genug wäre, finden nun am Verhandlungstisch Menschen zusammen, die sich erst kennenlernen müssen: Die Gewerkschaft hat mit Wolfgang Katzian ebenso eine neue Führung wie die Wirtschaftskammer mit Harald Mahrer.