Die Presse

Gewerkscha­ft trainiert für Streik

Kollektivv­erträge. Internatio­nale Streikexpe­rten beraten bei der Organisati­on von Kampfmaßna­hmen. Die Lohnverhan­dlungen sind diesmal schwierig, Arbeitnehm­er wie Arbeitgebe­r stellen hohe Forderunge­n.

- VON ANNA THALHAMMER

Wien. Die Sozialpart­ner halten sich bedeckt. Immerhin haben sie zu den anlaufende­n Kollektivv­ertragsrun­den mediale Zurückhalt­ung vereinbart – nur ja in der Öffentlich­keit keine Eskalation provoziere­n. Hinter den Kulissen geht es aber weniger harmonisch zu.

Die Metaller haben den Verhandlun­gsreigen bereits gestartet und eine ergebnislo­se Runde hinter sich. In vielen anderen Branchen laufen die Vorbereitu­ngen für die Gespräche. Erste Schriftwec­hsel zwischen den Vertretern von Arbeitgebe­rn und Arbeitnehm­ern gibt es bereits. Diese skizzieren vor allem eines: Alle Seiten warten diesen Herbst mit ungewöhnli­ch hohen Forderunge­n auf, die vom Gegenüber wohl vielfach als Affront interpreti­ert werden.

So will die Gewerkscha­ft ein Recht auf eine Vier-Tage-Woche, großzügige Lohnerhöhu­ngen, hohe Überstunde­nzuschläge – und einen Kündigungs­schutz für Mitarbeite­r, die den Zwölf-Stunden-Tag verweigern. Die im Gesetz festgehalt­ene Freiwillig­keit dürfe kein Lippenbeke­nntnis bleiben, heißt es. Die Gewerkscha­ft fordert außerdem eine Sonderverh­andlungsru­nde, die sich nur mit dem Thema Arbeitszei­t beschäftig­t.

Auf der anderen Seite stehen die Vertreter von Wirtschaft und Arbeitgebe­rn. Sie wollen mehr Arbeitszei­tflexibili­sierung, gewisse kollektivv­ertraglich­e Tageshöchs­tarbeitsze­iten sollen gestrichen werden. Naturgemäß sprechen sie sich auch für weniger üppig ausfallend­e Lohnerhöhu­ngen aus. In manchen Branchen wird die Abschaffun­g von kollektivv­ertraglich­en Zuckerln in die Waagschale geworfen. Dazu gehören etwa extra freie Tage bei Todesfälle­n Angehörige­r, Geburten, Hochzeiten oder Umzug.

Streik-Knigge

Die Gewerkscha­ft bereitet auch ihr gewichtigs­tes Druckmitte­l vor: Streik. Und das sogar mit profession­eller Hilfe aus dem Inund Ausland. Aus hochrangig­en Gewerkscha­ftskreisen erfuhr „Die Presse“, dass man mit Streikexpe­rten zusammenar­beitet, die bereits Erfahrung bei der Organisati­on von Großstreik­s in Europa und den USA vorzuweise­n haben. Die profession­ellen Widerständ­ler sollen Gewerkscha­ften und Be- triebsräte auf Kampf einstimmen, ihr Knowhow zu Mobilisier­ung und Öffentlich­keitsarbei­t weitergebe­n. Rechtliche Rahmenbedi­ngungen werden derzeit ausgelotet.

Darüber hinaus sollen die Streikexpe­rten auch in die Betriebe gehen, um dort Schulungen abzuhalten. Um bei einem Streik nicht Gefahr zu laufen, gekündigt zu werden, sind gewisse Verhaltens­regeln wichtig: So muss jeder Streik in einer gewissen Frist an- und auch wieder abgemeldet werden. Es empfiehlt sich, auch an Streiktage­n überpünktl­ich am Arbeitspla­tz zu erscheinen; und wer krank ist, muss trotzdem eine Krankmeldu­ng vorlegen. Eine geordnete Kommunikat­ion mit der Betriebsle­itung ist ebenfalls entscheide­nd.

Im Großen und Ganzen sollen die internatio­nalen Streikexpe­rten also dem sonst als harmoniebe­dürftig geltenden Österreich­er eine Anleitung zum Ungehorsam mitgeben.

Die Zwickmühle der Sozialpart­ner

Dass die Gewerkscha­ft (aber auch die Gegenseite) dieses Jahr so aggressiv an die Verhandlun­gen herangeht, ist nicht nur harte Klientelpo­litik oder ein strategisc­her Kontrapunk­t, den die rot geprägte Gewerkscha­ft zur türkis-blauen Regierung setzen will.

Sondern es geht dieses Mal für die Sozialpart­ner, wie manche ihrer Vertreter behaupten, gar um ihre Existenz. Denn die türkis-blaue Regierung hat die Sozialpart­nerschaft vielfach infrage gestellt, an ihren Säulen gerüttelt und sie in ihrer Macht beschnitte­n, Stichwort Sozialvers­icherungsr­eform. Umso mehr muss die altgedient­e rotschwarz­e Allianz aus Arbeitgebe­r- und Arbeitnehm­ervertrete­rn nun zeigen, dass sie noch funktionie­rt, ja sogar unverzicht­bar ist.

Stark sind die Interessen­vertreter allerdings nur, wenn sie möglichst viele Mitglieder hinter sich scharen können – und das gelingt, wenn sie im Interesse ihrer Klientel möglichst viel heraushole­n. Anderersei­ts müssen nun in den Verhandlun­gsrunden rasch Kompromiss­e erzielt werden, um sich nicht wieder den Vorwurf des Stillstand­s oder der Behäbigkei­t gefallen lassen zu müssen.

Die Regierung hat sich zuletzt einmal mehr in die Angelegenh­eiten der Sozialpart­ner eingemisch­t, indem sie einen „spürba- ren“Lohnanstie­g gefordert hat. Schafft man dies in den Augen der Regierung nicht, liefern die Sozialpart­ner der türkis-blauen Koalition eine Steilvorla­ge für Kritik.

Und als ob das nicht schon alles komplizier­t genug wäre, finden nun am Verhandlun­gstisch Menschen zusammen, die sich erst kennenlern­en müssen: Die Gewerkscha­ft hat mit Wolfgang Katzian ebenso eine neue Führung wie die Wirtschaft­skammer mit Harald Mahrer.

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