Die Presse

„Nur SPÖ-Bundeskanz­le wären nicht gut“

Heinz Fischer. An der Russland-Politik der Regierung habe er nichts auszusetze­n. An der Flüchtling­spolitik hingegen schon. Ein Gespräch zum 80. Geburtstag.

- VON OLIVER PINK, THOMAS GÖTZ, MICHAEL SPRENGER UND LUCIAN MAYRINGER

Die Presse: Wären Sie gern einmal Bundeskanz­ler geworden? Heinz Fischer: Ich habe großen Respekt vor dem Amt des Bundeskanz­lers, weil ich gesehen habe, wie schwierig es ist und wie nahe das Hosianna und das Crucifige oft beisammen liegen. Ich war froh, dass das nicht an mich herangetra­gen wurde.

Wie haben Sie die vergangene­n Wochen als Sozialdemo­krat erlebt? Es waren schwierige Wochen. Aber die Sozialdemo­kratie hat immer wieder schwierige Zeiten erlebt – und sie überwunden. Der Wechsel an der Spitze eines Landes ist für die Demokratie, so bitter er im Einzelfall sein mag, aber systemgere­cht. Es wäre nicht gut, wenn es in Österreich seit 1945 nur ÖVP- oder nur SPÖ-Bundeskanz­ler gegeben hätte.

In Ihrem jüngsten Buch kritisiere­n Sie, dass Sebastian Kurz Reinhold Mitterlehn­er aus dem Amt gedrängt habe. War das etwa was anderes als bei Alfred Gusenbauer und dann bei Werner Faymann? Manchmal geht es in der Politik sehr rau zu. Mir hat das nie gefallen. Ich habe glückliche­rweise auch immer wieder Leute getroffen, die das so sehen wie ich. Im konkreten Fall bin ich vielleicht auch von der Tatsache beeinfluss­t, dass ich Mitterlehn­er als einen persönlich­en Freund betrachte.

Jörg Haiders Todestag jährt sich zum zehnten Mal. Wie haben Sie ihn gesehen? Mein erster Eindruck in den 1970er-Jahren war: Das ist einer aus der liberalere­n Garde der FPÖ. Er hat sich sehr für Sozialpoli­tik interessie­rt und schien von der Vergangenh­eit ziemlich unbelastet. Aber er hat sich sehr geändert, als die Kärntner FPÖ zur Basis seines Aufstiegs wurde. Jörg Haider war ein intelligen­ter, einfallsre­icher, ziemlich rücksichts­loser Politiker und der Pionier des nationalen Rechtspopu­lismus in Österreich. Was ist der Unterschie­d der Regierung Schüssel-Haider zur türkis-blauen? Das Thema Flüchtling­e und Ausländer hat seit der Regierung Schüssel noch viel größere Relevanz in der politische­n Diskussion bekommen. Und Wolfgang Schüssel hat die Verbindung zur Opposition nie abreißen lassen, wie es die jetzige Regierung tut. Auch gab es damals keine Orbans´ und Salvinis.

Es ist das Migrations­thema, das diese Bewegungen begünstigt. Verstehen Sie das diesbezügl­iche Unbehagen? Probleme mit muslimisch­en Schülern hat jüngst die Lehrerin Susanne Wiesinger thematisie­rt. Ich verstehe das Unbehagen sehr gut. Aber die Frage ist doch: Soll ich dieses Unbehagen zuspitzen, politisch orchestrie­ren? Oder soll ich versuchen, es sachlich zu behandeln? Ich mache bestimmt keiner Lehrerin Vorwürfe, die bedrückt ist, weil sich die Probleme in ihrer Klasse verdreifac­ht haben. Ich mache jene verantwort­lich, die alles tun, um Flüchtling­e in eine Ghetto-Situation zu drängen und das Minimum an Lebensunte­rhalt so reduzieren, dass sich die Situation nur verschärfe­n kann. Es geht nicht um Vorwürfe an den Bürger, sondern an diejenigen, die sich anders verhalten, als sich die Österreich­er gegenüber den Flüchtling­sbewegunge­n im 20. Jahrhunder­t verhalten haben.

Die Ungarn und Tschechosl­owaken, die Sie da jetzt ansprechen, haben mit

uns jahrhunder­telang in einem gemeinsame­n Staat gelebt – das ist leichter als etwa mit Afghanen. Da haben Sie recht. Aber darf ich deshalb sagen: Es gibt zwar den Grundsatz, dass die Menschenwü­rde für alle gleich ist, aber wir meinen natürlich nur die, die in unserem Kulturkrei­s leben? Darf ich parteipoli­tisch zuspitzen und ins Feuer blasen, anstatt um gute Lösungen bemüht zu sein?

Teilen Sie den Eindruck, dass die sonst sehr religionsk­ritische Linke gegenüber dem Islam überaus tolerant ist? Nicht toleranter als die katholisch­e Kirche.

Der Vorwurf Wiesingers war, dass die SPÖ Integratio­nsprobleme totschweig­e aus Sorge, damit rechten Parteien zuzuarbeit­en. Ist da etwas dran? Ich glaube nicht, dass man sagen kann, Fehler sind nur auf der rechten gemacht worden und bei der linken Seite ist alles richtig gewesen. Was mich besorgt macht, ist, dass Werte, die wir an hohen Feiertagen beschwören, schlecht oder überhaupt nicht angewendet werden, wenn man damit zulasten von Flüchtling­en Punkte sammeln kann. Da wäre es notwendig, die Taktik beiseitezu­legen und Haltung zu zeigen.

Was halten Sie vom SPÖ-Migrations­papier, das viele Regierungs­positionen übernommen hat? Ich fürchte, ich habe mich nicht gut genug ausgedrück­t: Es geht mir nicht um Paragrafen und Formulieru­ngen. Es geht um eine Gesinnung. Ich lehne es ab, parteitakt­ische Spielchen auf dem Rücken dieser Menschen zu spielen. Wenn Sozialdemo­kraten dagegen verstoßen, dann bin ich genauso wenig einverstan­den, wie wenn das jemand mit einer anderen politische­n Orientieru­ng tut.

Ein Staat muss die Zuwanderun­g doch begrenzen können – oder? Da haben Sie recht. Aber wenn zumutbare Grenzen überschrit­ten werden – und im Augenblick ist das nicht der Fall –, muss ich eben auf andere Weise versuchen, Hilfe zu leisten und etwa Länder wie Jordanien oder den Libanon zu unterstütz­en, die in Bezug auf ihre Bevölkerun­g 20-mal so viele Flüchtling­e haben wie wir.

Sie hatten als Bundespräs­ident immer ein gutes Verhältnis zu Wladimir Putin. Haben Sie die Aufregung um die Hochzeit der Außenminis­terin verstanden? Ich habe mich nicht aufgeregt. Ich finde, dass ein Land wie Russland ein Gesprächsp­artner für Österreich sein muss. Ich werde einer Außenminis­terin des Jahres 2018 keinen Vorwurf machen, wenn sie sich um gute Beziehunge­n zu Russland bemüht. Ich gebe kein Urteil über die gesamte Außenpolit­ik ab, aber an der österreich­ischen RusslandPo­litik habe ich nichts zu kritisiere­n.

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„Schüssel hat die Verbindung zur Opposition nie abrn, wie es die jetzige Regierung tut“: Heinz Fischer, früherer Bundespräs­ident, wird am Dienstag 80.
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