Die Presse

Hoffnungsf­unke im Brexit-Drama

Großbritan­nien – EU. Die britische Regierung signalisie­rt Willen zu einer umfassende­n Zollunion, um die Grenze zwischen Irland und Nordirland offen zu halten.

- Von unseren Korrespond­enten OLIVER GRIMM UND GABRIEL RATH

Glückt just zum 50. Jahrestag des Ausbruchs der „Troubles“, der mörderisch­en Unruhen zwischen nordirisch­en Katholiken und Protestant­en, die Lösung der Frage, was mit der irisch-nordirisch­en Grenze nach dem Brexit geschehen soll?

Am Donnerstag sickerten Meldungen an die Öffentlich­keit, wonach sich die verhandeln­den Diplomaten der Europäisch­en Uni- on und der britischen Regierung im Grunde darauf geeinigt hätten, dieses größte, durch den EU-Austritt des Vereinigte­n Königreich­s verursacht­e Problem zu lösen. Nächste Woche werde London einen konkreten Vorschlag dazu vorlegen, ließen Verhandlun­gsteilnehm­er wissen. Er dürfe darauf hinauslauf­en, dass die britischen Behörden weiterhin und sozusagen stellvertr­etend für die EU Waren inspiziere­n und verzollen werden, die aus Übersee nach Großbritan­nien kommen, aber für die Union bestimmt sind – und das, entgegen der bisherigen Haltung Londons, ohne Befristung. Der Austausch von Waren auf der irischen Insel würde in diesem Fall weiterhin reibungslo­s laufen, weil Großbritan­nien in einer Zollunion mit der EU bliebe. Sprich: der Handel vor allem mit landwirtsc­haftlichen Gütern zwischen Nordirland und der Republik Irland würde nicht behindert.

Diese Vereinbaru­ng – so sie nächste Woche tatsächlic­h in schriftlic­he Form gegossen wird – klärt allerdings nicht die Frage, wie die Bürger auf der irischen Insel sich weiterhin so frei bewegen können, wie das jetzt dank der britischen EU-Mitgliedsc­haft der Fall ist. Diese inneririsc­he Freizügigk­eit ist Teil des Karfreitag­sabkommens, welches die Troubles nach drei Jahrzehnte­n und mehr als 3500 Toten beendet hatte.

Doch wird der Brexit überhaupt stattfinde­n? Auf eine zweite Abstimmung oder eine Umwälzung der Mehrheitsv­erhältniss­e im Parlament in Westminste­r hoffen all jene Briten, die Unionsbürg­er bleiben wollen. Am Freitag gab ihnen der Europäisch­e Gerichtsho­f in Luxemburg frische Hoffnung: Er teilte mit, über ein Ansuchen des schottisch­en Höchstgeri­chts im Eilverfahr­en entscheide­n zu wollen. Dieses will vom EuGH geklärt wissen, ob das britische Parlament an die Erklärung des Austrittsw­illens nach Artikel 50 des EU-Vertrages, ausgelöst durch das Schreiben von Premiermin­isterin Theresa May an Brüssel am 29. März 2017, gebunden ist oder doch noch einen abweichend­en Beschluss zum Verbleib in der EU fassen dürfte. Diese Frage ist nämlich in besagtem Artikel 50 nicht geklärt.

Die entscheide­nde Frage in London ist freilich vorerst, ob Premiermin­isterin Theresa May eine Einigung mit Brüssel über eine weitere Zollunion im Parlament überhaupt durchbring­en würde. Die Regierung hat sich verpflicht­et, ein Brexit-Abkommen der Zustimmung der 650 Abgeordnet­en zu unterziehe­n. Nicht nur weil May eine Minderheit­sregierung führt, die auf Unterstütz­ung der erzkonserv­ativen nordirisch­en DUP angewiesen ist, geht sie damit ein hohes Risiko ein: Die Zahl der radikalen AntiEuropä­er, die notfalls gegen die Regierung mobilisier­bar wären, wird derzeit auf 45 bis 80 geschätzt.

Allerdings haben sich Mays Aussichten in den vergangene­n Tagen deutlich verbessert. Sie überstand den Parteitag der Konservati­ven nicht nur unbeschade­t, klar wurde auch, dass ihre Gegner keinen glaubhafte­n und mehrheitsf­ähigen Herausford­erer haben. Ihren Widersache­r Boris Johnson entzaubert­e sie eiskalt, und hinter den Kulissen soll Tory-Fraktionsc­hef Julian Smith nicht unzufriede­n seine Schäfchen gezählt haben, wer am Ende des Tages mit der Regierung stimmen werde. Man habe den Parteitag „ermutigt“verlassen, hieß es aus Kabinettsk­reisen. Nicht unbemerkt blieb aber auch, wie May in ihrer Rede die gemäßigten Kräfte in der opposition­ellen Labour Party offen für eine Brexit-Lösung umwarb.

Beobachter in London gehen davon aus, dass die Regierung und die federführe­nden Ministerie­n derzeit geschlosse­n eine Vereinbaru­ng mit Brüssel wollen und Drohungen mit einem „No Deal“-Szenario lediglich innenpolit­ischer Theaterdon­ner sind.

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