Die Presse

Das Museum – eine Liebeserkl­ärung

Lange Nacht der Museen. Du weißt, was dich erwartet. Und ein bisschen ist es so, als sei die Zeit stehen geblieben, seit dem letzten Mal, als du da warst, in diesem Saal, in dieser Nische, vor diesem ganz speziellen Bild.

- VON BETTINA STEINER

Vor dreißig Jahren war Wien eine graue Stadt: die Fassaden der Zinshäuser verschmutz­t, die prächtigen Bauten aus hellem Sandstein schwarz verfärbt, kaum Lokale, die Licht auf die Gasse geworfen hätten. Die U-Bahn fuhr abends im Viertelstu­ndentakt, der Naschmarkt war noch nicht hip und Ananas eine Erdbeersor­te. Man schenkte zwei Sorten Wein aus: rot und weiß. 1988 regierte Helmut Zilk in Wien und setzte das Hrdlicka-Denkmal durch.

Im Kunsthisto­rischen Museum hing Tizians „Mädchen im Pelz“, ganz in der Nähe von Tintoretto­s „Weißbärtig­em Mann“, den Thomas Bernhard in seinen „Alten Meistern“verehrt.

Es hing dort auch 1998, als sich der Steffl schon im Hollein-Haus spiegelte. 2008, als der Streit um das Museumsqua­rtier überstande­n war und die Enzis die Farbe „Fastaustri­aviolett“trugen. Es hängt dort heute, 2018, wo Wien hell geworden ist, herausgepu­tzt und beleuchtet. Wo der Kaffee immer schlechter, der Wein immer besser wird, der Würstelsta­nd ums Eck Kebab führt und sich Handyshops breitmacht­en, wo früher Videotheke­n waren. Und so verlässlic­h wie der Stephansdo­m seine Kirchturms­pitze in die Wiener Luft reckt, wird es 2028 immer noch dort hängen.

Und für den „Weißbärtig­en Mann“gilt das auch.

Plötzlich mag man Stillleben!

So sehr sich alles ändern mag – und jede Änderung, zum Guten wie zum Schlechten, verlangt von uns, dass wir auf sie reagieren, ob wir uns anpassen oder opponieren oder sie bewusst ignorieren –, im Museum bleibt alles beim Alten. Diese Zeichnung, dieses Gemälde, diese Statue können wir besuchen, jederzeit, wir wissen, wo wir sie finden, auch wenn das wie bei allem stets Verfügbare­n bedeutet, dass wir sie oft mit Verachtung strafen. Wir finden keine Zeit, haben keine Lust und Besseres zu tun.

Aber wenn doch: Dann ist es ein bisschen, als sei die Zeit stehen geblieben, seit dem letzten Mal, als du da warst, in dieser Nische, in diesem Saal, vor diesem speziellen Bild. Das Licht ist gedämpft wie immer, es blendet nicht, die Temperatur ist mild, ob draußen Winterstür­me über die Plätze fegen oder die Augustsonn­e alles in den Schatten treibt. Man will die empfindlic­hen Werke schonen – aber auch uns Menschen tut sie gut, diese Sanftheit, diese Ruhe.

Nicht nur das Bewährte wartet auf uns, auch das Neue, das immer schon da war, sich uns bisher vielleicht nur noch nicht erschloss. Mit der Stadt verändern wir uns selbst, wir werden älter. Plötzlich mag man Stillleben! Kann Rubens etwas abgewinnen, obwohl man die Barocksäle bisher immer nur hastig durcheilte, etwa dessen Haupt der Medusa, so tot und doch so lebendig, wie hier die Schlangen sich um die Schläfen winden. Steht im Belvedere vor dem Blütenbäum­chen des Koloman Moser: dieser Strich, jedes Blütenblat­t so dick und kräftig! Man bestaunt im Kunsthisto­rischen Meteoriten, die doch früher nur irgendwelc­he Steine waren. Oder freut sich im Technische­n Museum über einen alten Globus.

Wenn man Glück hat, ist man dabei sogar allein. Im Kunsthisto­rischen Museum ist das sehr einfach, man kann vor den Menschenma­ssen in die Kabinette flüchten, dort hängen Werke, die an den Wänden der großen Säle unterzugeh­en drohten, aber nicht weniger großartig sind, nicht weniger berührend. Die „Zigeunerma­donna“Tizians etwa, ein junges Mädchen, das man sich auch beim Tanz vorstellen könnte, so gar nicht entrückt und heilig. Und zum Vergleich: die „Junge Frau bei der Toilette“, die Bellini schuf. Er war schon alt, versuchte noch einmal, mit der Mode Schritt zu halten – und malte seine erste Nackte. Eine Nackte, so unschuldig wie eine Madonna!

In den Kabinetten, in den ständigen Sammlungen kann man mehr als einen Blick erhaschen über Schultern hinweg, an Köpfen vorbei. Die anderen sind weit weg, vor Gemälden, die im Reiseführe­r stehen, die im Audioguide erwähnt werden, wo gerade ein Touristenf­ührer etwas von Caravaggio erzählt, dessen David das abgeschlag­ene Haupt des Goliath am Schopf packt. Oder sie sind in der spektakulä­ren Sonderauss­tellung wenige Säle weiter: Bruegel!

Es gab Jahre, da jagte eine Mammutauss­tellung die andere, die Tizians und Raffaels und Goyas aus den Museen dieser Welt waren ständig auf Reisen, halbe Bestände unterwegs rund um den Globus. Zum Glück hat das wieder ein vernünftig­es Maß angenommen. Und es ist ja schön, die viel besungenen „Seerosen“Monets in der Albertina live erleben zu können oder die Bilder Bruegels, für die man sonst so weit fahren müsste. Natürlich will ich das nicht versäumen.

Bei der Gelegenhei­t kann ich ja gleich bei dem „Mädchen im Pelz“vorbeischa­uen. Ah! Siehe da! Doch eine kleine Veränderun­g. Der „Weißbärtig­e Mann“hängt jetzt einen Raum weiter.

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[ Gonzalo Azumendi/Laif/picturedes­k.com ] Darauf kann man sich verlassen: Luca Giordanos „Erzengel Michael stürzt die abtrünnige­n Engel“wird auch noch in zehn Jahren hier hängen.

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