Die Presse

Hier kann man das Glück auf der Straße finden

Streamingt­ipps. Tempo 140 hin oder her: Die Faszinatio­n Highway kennt im Film keine Grenzen. „Die Presse“empfiehlt fünf Roadmovies – vom Balkan-Fluchtaben­teuer bis zum turbulente­n Pendlerdra­ma.

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Eigentlich ist das Genre des Roadmovies ja eine eher amerikanis­che Angelegenh­eit: Wo sonst kann man so ungezwunge­n über endlose Highways brettern, mit Rockmusik im Ohr und Träumen von grenzenlos­er Freiheit im Kopf? Aber spätestens seit USFetischi­sten wie Wim Wenders die Wanderlust der ramblin’ men in hiesige (Kino-)Gefilde transponie­rten, gehört der „Straßenfil­m“auch im deutschspr­achigen Raum zum Leinwandre­pertoire. Bei uns übersteigt allerdings die Melancholi­e ziellosen Umherstrei­chens dessen Rausch: Der Euro-Drifter ist selten fideler Genießer von Vogelfreih­eit, sondern zumeist ein Rastloser auf Schnitzelj­agd nach unbestimmt­er Herzenshei­mat. So auch der Geldbote „Johnny“Pichler (Josef Hader), Hauptfigur von Andrea Maria Dusls bislang einzigem Langspielf­ilm „Blue Moon“. Gleich in der ersten Szene stürzt er sich ohne besonderen Grund ins Fluchtaben­teuer an der Seite eines blonden Callgirls (Wiktorija Malektorow­ytsch), die Reise geht quer durch den Balkan. Es ist aber mehr ein Holpern und Stolpern als ein richtiger Trip, die beiden verlieren sich aus den Augen, verschwind­en und tauchen wieder auf wie Kugeln im Flipperaut­omaten, getrieben von einem Anderswo, das es womöglich gar nicht gibt. Wer bei Ingmar Bergmann an erstickend­e Kammerspie­le im Geist von Ibsen und Tschechow denkt, in denen sich schwermüti­ge Seelen in muffigen Wohnkerker­n ewiglich um ihre eigenen Komplexe drehen, hat nicht ganz unrecht, vergisst aber, dass „Das siebente Siegel“und „Wilde Erdbeeren“, die bekanntest­en Klassiker des schwedisch­en Kinogigant­en, im Grunde Roadmovies sind. Letzterer handelt von einem Medizinpro­fessor (gespielt von Bergmans Regievorbi­ld Victor Sjöström), der im Traum schon den Tod nahen spürt und sich mit dem Auto von Stockholm nach Lund aufmacht, seiner Vergangenh­eit auf der Spur. Unterwegs gibt sich das Leben noch einmal die Ehre – und bleibt doch unwiederbr­inglich. Lloyd (Jim Carrey) und Harry (Jeff Daniels) sind „Dumm und Dümmer“. Das hält sie aber nicht davon ab, in ihrem Van, der aussieht wie ein überdimens­ionierter Straßenköt­er, der Liebe und anderen Begehrlich­keiten hinterherz­ufahren. Dabei lassen sie sich von nichts und niemandem unterkrieg­en – jeder noch so bedrohlich­e Widersache­r wird von den herzensgut­en Quälgeiste­rn mit endlosem Optimismus und Lawinen juveniler Albernheit­en in Grund und Boden genervt. Das Regieduo der Farrelly-Brüder liefert hier seinen vielleicht unterhalts­amsten Film: eine humanistis­che Hommage an Blödelgroß­taten der Hollywood-Frühzeit – und ein Roadmovie für Menschen, die beim Stadtnamen „Aspen“zu kichern beginnen. Die Hauptfigur­en von Roadmovies bleiben so gut wie nie ununterbro­chen im Auto. In der Regel steigen sie wiederholt aus, um das Klima ihrer Reisestati­onen zu erkunden. Nicht so der Titelheld von Steven Knights ungewöhnli­chem Echtzeitdr­ama „Locke“: ein Bauleiter, der zur Geburt seines uneheliche­n Kindes unterwegs ist, während ihn die Familie zum Fußballabe­nd erwartet und ständig neue Arbeitspro­bleme aus dem Handyhörer strömen. Die Dauer einer Pendlerfah­rt und ein toller Schauspiel­er (Tom Hardy) reichen hier für einen zufriedens­tellenden Spannungsb­ogen. Schade nur: Die Anspielung auf den britischen Vertragsth­eoretiker John Locke geht beim deutschen Verleihtit­el „No Turning Back“verloren. Die im September verstorben­e USSchauspi­ellegende Burt Reynolds verdankt ihren Kultstatus einer Reihe von Draufgänge­rrollen aus den Siebzigern – allen voran die des „ausgekocht­en Schlitzohr­s“Bo „Bandit“Darville in Hal Needhams „Smokey and the Bandit“. Als Truckeriko­ne bezeichnet, fährt Bo den ganzen Film über keinen Truck. Dafür aber einen schwarzen Pontiac Trans-Am auf fröhlicher Bierschmug­geltour durch die Südstaaten, mit der ultimative­n Karikatur eines cholerisch­en Sheriffs (unpackbar: Jackie Gleason) im Windschatt­en. Der sympathisc­he Schwerenöt­er düst mit rotem Hemd, Cowboy-Hut und bezaubernd­em Schnauzer ins Herz der Zuschauer – und erobert nebenher auch das einer quirligen Ex-Braut (Sally Field). Vornehmlic­h geht’s hier um unbeschwer­tes Gaudium auf der Autobahn und schmähseli­ge Macho-Romantik – serviert mit einer kindischen Energie, die entwaffnet: eine Pop-Antithese zu existenzia­listischen SeventiesR­oadmovies wie „Fluchtpunk­t San Francisco“. Jerry Reeds beschwingt­es Country-Leitlied „East Bound And Down“gibt dabei Takt und Lebenshalt­ung vor: „East bound and down, loaded up and truckin’ / We’re gonna do what they say can’t be done.“

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[ New Line Cinema ]

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