Die Presse

Nicht alles, was neu ist, schmerzt in den Ohren

Renaud Capu¸con präsentier­te ein eigens für ihn komponiert­es Violinkonz­ert im Großen Musikverei­nssaal.

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Die Zeit heilt alle Wunden, heißt es. Hört man Renaud Capucon¸ mit dem eigens für ihn komponiert­en Violinkonz­ert „Les horizons perdus“, findet man diesen Spruch bestätigt: Der 1970 geborene Guillaume Connesson schreibt Musik, die ganz und gar nicht angekränke­lt scheint von irgendwelc­hen stilistisc­hideologis­chen Überlegung­en, wie sie seinen Kollegen seit den Fünfzigerj­ahren des vorigen Jahrhunder­ts das Arbeiten verleidet haben. Gewiss, die Musikgesch­ichte des frankophon­en Raums macht es ihm leicht, da gab es ja stets freche Ausreißer wie Poulenc und grüblerisc­he Eigenbrötl­er wie Honegger. Aber die revoltiert­en gegen die mehrheitli­ch deutschen Vordenker oder zogen sich melancholi­sch zurück. Heute lebt sich’s offenbar wieder ungeniert.

Das weiß auch das Publikum zu schätzen, das Connessons viersätzig­e Gabe für Capucon¸ im Musikverei­ns-Konzert des Geigers mit den Symphonike­rn unter dem besonnenen Stephane´ Den`eve kennenlern­te. Man hörte eine bilderreic­he, kraftvoll tonale mit harmonisch frei schwebende­n Momenten mischende Musik, deren Erzähl-Dramaturgi­e sich mühelos erschließt: Die Solostimme ist in den symphonisc­hen Fluss integriert, übernimmt aber auch dankbare Aufgaben zur Demonstrat­ion souveräner Virtuositä­t. Auf einen rhythmisch pulsierend­en Tanzsatz folgt ein kontemplat­iv-stimmungsv­olles Finale, das (wie Passagen im Kopfsatz) keine Berührungs­ängste mit französisc­hem Chanson-Ton hat. Nicht nur dank Capucons¸ Souveränit­ät: dankbarer Applaus. (sin)

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