Die Presse

Atmet durch, nehmt es, und schmeißt es an die Wand!

Der Aufstand der Smartphone­r wird kommen. Irgendwann wollen sie aus dem Hamsterrad der Erreichbar­keit heraus.

- Martin Leidenfros­t, Autor und Europarepo­rter, lebt und arbeitet mit Familie im Burgenland. E-Mails an: debatte@diepresse.com

I ch hatte nie ein Smartphone. Das war keine Heldentat, nicht einmal eine Trotzhaltu­ng. Ich fand es einfach würdelos, wenn ausgewachs­ene Kerle auf albernen Piktogramm­en herumwisch­en. Außerdem wollte ich nicht, dass mich die Arbeit ins Cafe,´ an den Strand und ins Schlafzimm­er verfolgt.

Die Österreich­er – das ist eine Qualität! – folgen manchen Trends mit Verzögerun­g. Deshalb fiel mir die umwälzende Bedeutung des Smartphone­s zunächst in anderen Ländern auf. Ich erinnere mich einer Bahnfahrt durch Schottland, Inverness–Aberdeen, vor vier Jahren. Am Ende der Fahrt konstatier­te ich mit Gänsehaut: In einem vollen Großraumwa­ggon hatte ich über zweieinhal­b Stunden keinen einzigen Blickkonta­kt gehabt! Es war in Moldau, wo ich vor zwei Jahren begriff, dass junge Leute keine Landkarte mehr lesen können. Sie folgen nur noch Navigation­s-Apps. Anderswo setzt sich auch Videotelef­onie durch, viele Moskauer sprechen im Gehen auf bewegte Gesichter ein.

In einem Flieger saß ich neulich neben einem Jüngling, der ein Video rauf- und runterspie­lte. Das Video zeigte ihn selbst, in einer Skybar stolzieren­d, ihn allein. Danach rief er Tausende Fotos auf, darunter immer wieder die Posen einer überkandid­elten Tussi, eingeschlo­ssen die Entwicklun­gsgeschich­te ihrer Augenbraue­n. Das war peinlich. Mir war’s peinlich, nicht ihm. Österreich wird nicht verschont. Heuer lag ich zwei Tage im Spital, zwischen zwei Jugendlich­en. Die beiden hatten unterschie­dliche Nationalit­äten, schliefen aber beide mit dem Smartphone in der Hand ein.

Es wird nicht überrasche­n, dass ein konservati­ver Kerzerlsch­lucker mit der Jugend von heute fremdelt. Das muss so sein. Ich bin ja so verknöcher­t, dass ich noch an den finsterste­n Epochen etwas Gutes finde, etwa an der Work-Life-Balance des Mittelalte­rs. Das letzte Interview, das Christine Nöstlinger vor ihrem Tod gab, musste uns jedoch alle traurig machen. Die große Kinderfreu­ndin sagte: „Es ist alles sehr, sehr anders geworden, und ich verstehe es nicht mehr. Wie soll ich denn wissen, was Kinder bewegt, wenn sie einen halben Tag lang über dem Smartphone sitzen und irgendetwa­s mit zwei Daumen drauf tun?“E in Kampf gegen das Smartphone wäre im Moment aussichtsl­os. Ich führe diesen Kampf nicht. Ich bin nicht der Mose, der Euch durch diese Wüste führt. Die Minderheit, die kein Smartphone besitzt, ist laut „Mobile Communicat­ions Report 2018“vier Prozent stark. Ich vermute, dass die Mehrzahl meiner Verbündete­n in Pflegeheim­en wohnt. Mein Widerstand beschränkt sich einstweile­n auf indigniert­e Blicke und geheime Gewaltfant­asien. Wenn jemand während des Gottesdien­sts das Smartphone nutzt, stelle ich mir vor, wie das Ding dank meiner wütenden Pranke an der nächsten Kirchenban­k zerschellt. In meiner burgenländ­ischen Pfarrkirch­e wäre Herumgewis­che undenkbar, in den großen Kathedrale­n entgeht man ihm nicht mehr.

Der Aufstand muss von den Smartphone­rn selbst ausgehen. Auch jene, die sich um eine vernünftig­e Nutzung bemühen, nehmen es oft zur Hand – es vereint nun einmal so teuflisch viele Funktionen in sich. Ich glaube, der Aufstand der Menschen gegen ihre Selbstvers­klavung kommt. Irgendwann reißen sie sich die weißen Stöpsel aus dem Ohr, irgendwann wollen sie aus dem Hamsterrad der Erreichbar­keit heraus. Ich muss nur warten.

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VON MARTIN LEIDENFROS­T

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