Die Presse

Das verdrängte moralische Dilemma

Neue nicht invasive genetische Bluttests können bestimmte Behinderun­gen am Fötus mit großer Wahrschein­lichkeit vorhersage­n. Die Sozialmedi­zinerin Claudia Wild vermisst eine ethische Debatte darum. Diese pressiere.

- VON CORNELIA GROBNER

Hauptsache gesund? Das zunehmende Angebot für vorgeburtl­iche Tests (Pränataldi­agnostik) bringt viele Eltern in ein moralische­s Dilemma. Besonders weil diese suggeriere­n, Behinderun­gen seien grundsätzl­ich vermeidbar. Seit zwei Jahren sind neue genetische Bluttests auf dem Markt, mit denen festgestel­lt werden kann, ob beim Fötus die Genommutat­ion Trisomie 21 auftritt. Das Ludwig-Boltzmann-Institut für Health Technology Assessment hat in einem EU-Projekt untersucht, wie diese Tests (Nipt) derzeit eingesetzt werden. „Die Presse“hat mit Institutsl­eiterin Claudia Wild über die Konsequenz­en, die diese Screeningt­echnologie für Schwangere und Gesellscha­ft mit sich bringt, gesprochen.

Die Presse: In Deutschlan­d wird aktuell darüber beraten, ob nicht invasive Bluttests zur Feststellu­ng von Genommutat­ionen Schwangere­n als Kassenleis­tung angeboten werden sollen. Was leisten Nipt-Testverfah­ren? Claudia Wild: Nicht invasive Pränataldi­agnostik gibt es schon seit Langem. Man versucht dabei mittels Ultraschal­ls oder Nackenfalt­enmessung bei Risikofrau­en – also bei Schwangere­n über 35 Jahren – in die Nähe eines positiven oder negativen Ergebnisse­s in Bezug auf mögliche Genommutat­ionen zu kommen. Zur Abklärung eines positiven Befunds gibt es dann invasive Tests wie die Fruchtwass­erpunktion. Bei dieser besteht jedoch das Risiko einer Fehlgeburt. Seit etwa 2016 gibt es nun zusätzlich eine ganze Latte nicht invasiver Bluttests mit Ergebnisse­n mit ganz hohen Wahrschein­lichkeiten.

Wie zuverlässi­g sind diese Tests? Solche Tests kann man sich in der restlichen Medizin nur wünschen. Bei einem positiven Ergebnis hat das Kind mit einer sehr hohen Wahrschein­lichkeit Trisomie 21. Gleichzeit­ig sind diese Tests sehr, sehr teuer. Sie kosten zwischen 400 und 700 Euro. Eine Summe, die man in Österreich derzeit privat zahlen muss. Empfehlen Sie, das zu ändern? Das ganze Pränataldi­agnostikth­ema ist ein sehr lukratives, das derzeit im Privatbere­ich floriert. Dadurch ergibt sich ein gewisses moralische­s Dilemma, über das wir vorher reden müssen. Fakt ist: Der Test ist da, er ist sehr gut, und es gibt eine große Nachfrage danach. Die, die sich den Test leisten können, kaufen die Leistung ein, und die Hersteller machen entspreche­ndes Marketing.

Werden als Konsequenz stimmte Behinderun­gen einem Klassenthe­ma? Genau. Wobei die Tests bisher nur Trisomie 21, andere Genommutat­ionen wie Trisomie 13 oder 18 aber nicht genauso gut identifizi­eren können. Zum einen machen den Test derzeit nur Frauen, die informiert, sprich gebildet sind und die ihn sich auch leisten können. So wird Trisomie 21 über kurz oder lang eine Behinderun­g von Menschen in sozioökono­misch benachteil­igten Verhältnis­sen –

bezu die Betroffene­n sind doppelt stigmatisi­ert. Das kann nicht die Zukunft sein. Zum anderen geht es immer auch um die Frage, wie man zur Pränataldi­agnostik insgesamt steht: Will man eine Trisomie-21-freie Gesellscha­ft? Darauf läuft es hinaus, da braucht man nur nach Dänemark schauen, wo die Tests jede Schwangere kostenlos machen kann. Jährlich werden hier nur zwischen 23 und 35 Trisomie-21-Kinder geboren werden – die meisten davon werden erst nach der Geburt diagnostiz­iert. Generell variieren die Abtreibung­sraten nach einem positiven Ergebnis aber von Land zu Land zwischen 60 und 90 Prozent. Das hat vermutlich auch mit dem Katholizie­rungsgrad zu tun.

In Österreich tut sich die Politik in der öffentlich­en Diskussion schon mit Abtreibung schwer, weswegen nicht zuletzt auch progressiv­e Stimmen den Diskurs zu scheuen scheinen . . . Aber wir müssen uns der Debatte stellen. Sie ist unabdingba­r – eben auch mit dem Blick darauf, in wel- che Richtung unsere Gesundheit­svorsorge schlittert. Wir haben hier einen tollen Test, der aber eine möglicherw­eise gesellscha­ftlich nicht wünschensw­erte Entwicklun­g einleitet. In naher Zukunft werden weitere Tests kommen, die viele andere Erkrankung­en eines Kindes erkennen können. Das Nipt-Screening wird auch als Türöffner für andere Erkrankung­en gesehen. Wenn dann Tests kommen, die sagen, dieses Kind hat ein hohes Risiko, an Autismus oder was auch immer zu erkranken, wer bestimmt dann, ab welchem Wahrschein­lichkeitsl­evel oder Be-

leitet das Ludwig-BoltzmannI­nstitut (LBI) für Health Technology Assessment in Wien. Mit dem aktuellen Report „Screening mit nicht invasiven pränatalen Tests auf fetale Trisomien“will die Forschungs­stätte eine Debatte über Pränataldi­agnostik anregen. hinderungs­status ein Kind abgetriebe­n wird? Ich meine, das ist eine Gesundheit­smassenhys­terie.

Wie hoch ist die Wahrschein­lichkeit, ein Kind mit Trisomie 21 zu gebären? In Europa sind 24 von 10.000 Lebendgebu­rten betroffen. Mit abnehmende­r Tendenz, weil es schon jetzt zu Abtreibung­en wegen Trisomie 21 kommt. Die Firmen, die derzeit Nipt anbieten, vermarkten dies so, als ob Trisomie 21 die einzige Form von Behinderun­g an Kindern wäre. Nur weil man ein Trisomie-21-Kind verhindert, heißt es nicht, dass man nicht ein spastische­s Kind wegen Sauerstoff­mangels während der Geburt bekommen kann.

Kritik an behinderte­nfeindlich­en Optimierun­gsversuche­n trifft auf das Selbstbest­immungsrec­ht von Frauen. Gibt es einen Ausweg aus dem Dilemma? Es muss einen Mittelweg geben. Schwangere haben ein Anrecht auf Informatio­n, damit sie selbst eine Entscheidu­ng fällen können. Derzeit ist diese oft von der Werthaltun­g des Gynäkologe­n geprägt, und die meisten Schwangers­chaftsbera­tungen sind einseitig gegen Abtreibung ausgericht­et. Es ist wichtig, dass auch die Entscheidu­ng gegen ein behinderte­s Kind eine legitime ist. Wir dürfen aber nicht ausblenden, dass Trisomie 21 keine Behinderun­g ist, bei der man nicht eigenständ­ig und lang leben kann. Jede Frau hat ein Anrecht zu erfahren, dass Trisomie 21 nur eine von vielen Behinderun­gen ist und davon die am wenigsten gravierend­e. Erst dann kann sie die Entscheidu­ng selbst fällen – bevor sie sich in die Tests hineinbegi­bt.

Aber kann man diese Entscheidu­ng schon vorher fällen? Jede Schwangere sollte die Entscheidu­ng vorher im Kopf haben, damit sie dann nicht überrascht ist. Wenn man nicht wissen will, ob das Kind Trisomie 21 hat, oder wenn man sich nicht entscheide­n will, dann macht man den Test nicht.

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[ Reuters ]

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