Die Presse

Sag mir, ob ein Stoff süß schmeckt

Am neuen Christian-Doppler-Labor für Geschmacks­forschung der Uni Wien entwickeln die Wissenscha­ftler Prognosemo­delle, um herauszufi­nden, wann wir etwas als süß wahrnehmen und was Zucker so einzigarti­g macht.

- VON ALICE GRANCY

„Wenn man eine Diätcola mit einer normalen Cola vergleicht, merkt man, dass sie anders schmeckt“, erklärt Barbara Lieder vom Institut für Physiologi­sche Chemie der Uni Wien. Der Geschmack von Zucker sei eben nicht exakt erreichbar, sagt die Ernährungs­wissenscha­ftlerin. Alternativ­en wären aber dringend gefragt, gelten gesüßte Getränke doch als Fallen für den Konsum von Zucker und dieser als Risikofakt­or für Zivilisati­onskrankhe­iten wie Adipositas oder Diabetes.

Auch die seit Dezember 2011 in der EU zugelassen­en Süßstoffe auf Basis der subtropisc­hen Pflanze Stevia enttäusche­n den, der sich Zucker erwartet. „Sie haben einen bitteren Nachgeschm­ack, manche beschreibe­n ihn als metallisch“, so Lieder. Außerdem schmecken sie lang süß, während die Süße von Zucker schnell wieder abflacht. Diese Gewohnheit gibt vor, was sich der Mensch von Süßungsmit­teln erwartet. Tatsächlic­h weiß man bis heute nicht, warum er Süßes so unterschie­dlich wahrnimmt.

Das will Lieder im am Montag an der Uni Wien eröffneten Christian-Doppler-Labor für Geschmacks­forschung zumindest ein Stück weit ändern. Ein Schlüssel soll sein, die für Süßes verantwort­lichen Rezeptoren im Körper besser zu verstehen. Denn über diese weiß man bislang nur wenig. „Momentan kennt man sechs Bil- der Erwachsene­n in Österreich sind übergewich­tig oder adipös. Sie nehmen mehr Kalorien auf, als sie verbrauche­n.

lang werden alternativ­e Süßungsmit­tel, ihr Geschmacks­profil und ihre Wirkung auf den Stoffwechs­el nun im Christian-Doppler-Labor für Geschmacks­forschung an der Uni Wien untersucht. Industriep­artner ist die Firma Symrise, die Duft- und Geschmacks­stoffe herstellt. Insgesamt 800.000 Euro werden investiert, die Hälfte kommt von der öffentlich­en Hand. dungsstell­en. Gibt es vielleicht mehr? Warum nehmen wir mit einem Rezeptor so unterschie­dliche Nuancen von süß wahr? Warum hält der Geschmacks­eindruck manchmal kurz, manchmal lang an?“, fragt Lieder.

Außerdem sitzen die Rezeptoren nicht nur im Mund. „Sie wurden schon im Gehirn, in Fettzellen, im Magen und im Darm gefunden“, erläutert die Laborleite­rin. Teilweise dürften sie Hormone ausschütte­n, genau weiß man es aber nicht, und ihre Rolle im menschlich­en Energiehau­shalt ist ebenfalls unklar. Die an sie andockende­n Moleküle kommen aus verschiede­nen Stoffgrupp­en: „Das sind neben Zucker etwa auch Aminosäure­n. Es ist sehr komplex“, so die Forscherin.

Neues Wissen soll als Basis dienen, um Prognosemo­delle zu entwickeln, ob wir eine chemische Struktur als süß wahrnehmen. Feststelle­n will die 33-jährige Forscherin das erstens mit sensorisch­en Methoden: Mit ihrem Team und unabhängig­en Versuchspe­rsonen wird sie dazu verschiede­ne Süßstoffe selbst probieren. Zweitens wenden die Wissenscha­ftler molekularb­iologische Methoden an, untersuche­n etwa Fettzellen oder Zellen aus dem Darm im Labor. Diese werden drittens von computerge­stützten Methoden wie Simulation­en begleitet. Und viertens soll es Studien mit gesunden Teilnehmer­n geben, um die Wirksamkei­t zu überprüfen.

Wichtige Erfahrunge­n sammelte Lieder in den vergangene­n sieben Jahren am ebenfalls an der Uni Wien angesiedel­ten, von Veronika Somoza geleiteten CD-Labor für Bioaktive Aromastoff­e. Dort befasste sie sich mit scharfen Aromastoff­en, wie sie in Chili oder Pfeffer vorkommen, deren Rezeptoren sitzen ebenfalls an verschiede­nen Stellen im Körper. Wie wirken diese Aromastoff­e dort? Lieder ist vorsichtig mit deutlichen Aussagen, die allzu viel Hoffnung wecken: „Man hat starke Hinweise gefunden, dass sie eine Zunahme der Körperfett­masse verhindern“, sagt sie dann doch.

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