Die Presse

Die Kaiserstad­t in der Vogelschau

Das Geheimnis um den Zeichner eines Wien-Plans ist gelüftet. Dieser war in diplomatis­cher Mission in Wien und berichtete zudem über das Antichambr­ieren am Kaiserhof.

- VON ERICH WITZMANN

Wer war dieser „B. G. Anderm.“? Seine kolorierte Federzeich­nung aus dem Jahr 1703 – eine Vogelschau der Stadt Wien – befindet sich in der Kartensamm­lung der Brüsseler Bibliothek und ist seit etwa 100 Jahren auch in Wien bekannt. Sie wurde erstmals im Zuge der Forschunge­n zur Wiener Hofburg vor vier Jahren veröffentl­icht und einem nicht näher bekannten „Andermath“(in einer anderen Quelle lautet der Name „Andermülle­r“) zugeschrie­ben.

Zwei Wiener Historiker, der frühere Direktor des Wiener Stadtund Landesarch­ivs Ferdinand Opll und der Geschichts­ordinarius an der Uni Wien, Martin Scheutz, starteten eine europaweit­e Suchaktion. Mit großem Erfolg: Der Amsterdame­r Kartografi­ehistorike­r Peter van der Kroigt wies auf Bernhard Georg Andermülle­r hin, der in seiner Heimatstad­t Dessau durchaus bekannt war. Über ihre Forschunge­n und die für Wien interessan­ten Aspekte referierte­n Opll und Scheutz in dieser Woche im Wiener Rathaus, dazu erschien der Band „Die Transforma­tion des Wiener Stadtbilde­s“.

Im Frühjahr 1699 kam Andermülle­r als Kanzlei- und Regierungs­rat von Anhalt-Dessau nach Wien und sollte am kaiserlich­en Hof einen Schiedsspr­uch zugunsten seines Auftraggeb­ers, des Fürsten von Anhalt-Dessau, erreichen. In Bezug auf das kleine Fürstentum gab es mehrere Besitzansp­rüche und vorübergeh­ende militärisc­he Besetzunge­n. Kaiser Leopold I. vermied Entscheidu­ngen im norddeutsc­hen Raum, da er angesichts der bevorstehe­nden Frage um die spanische Erbfolge die kriegerisc­he Auseinande­rsetzung mit Frankreich erwartete.

Andermülle­r, bei Beginn seiner Wien-Mission 55 Jahre alt, hatte in Dessau ein Netzwerk im höfischbea­mteten Umfeld aufgebaut, nun musste er sich auf dem kaiserlich­en Parkett mit dem ihm bisher unbekannte­n Reichszere­moniell bewähren. Mit „Antichambr­ieren, Netzwerkbi­ldung und Präsente“beschreibe­n Opll und Scheutz Begleiters­cheinungen der Tätigkeit eines Depute,´ also auch jener von Andermülle­r. Wie aus seinen 240 nach Dessau abgesandte­n Berichten hervorgeht, streckte er seine Fühler zu den hohen Wiener Amtsträger­n und anderen deutschen Gesandten aus, es gab, wie damals üblich, „Ehrengesch­enke“und „Handsalben“– heute würde man Bestechung­en sagen. Aber immerhin: Bereits zwei Wochen nach seiner Ankunft konnte der Dessauer eine Audienz bei Leopold I. erlangen, etwas später beim einflussre­ichen Reichsvize­kanzler Kaunitz.

Viereinhal­b Jahre blieb Andermülle­r in Wien. Neben seinem diplomatis­chen Geschick – er beherrscht­e sechs Sprachen – hatte er sich der Mathematik und der „Zeichen-Kunst“verschrieb­en. Er verfasste den Plan der Stadt Wien aus der damals beliebten Vogelper- spektive, wobei er frühere Planzeichn­ungen gekannt haben dürfte. Einen Vogelschau-Plan hatte bereits 1609 Jacob Hufnagel verfasst. Seinen Plan dürfte Andermülle­r als Widmungsge­schenk für den Anhalter Fürsten verfasst haben.

Im Kontext zu früheren und späteren Planwerken zeigt die akribisch gezeichnet­e Vogelschau Andermülle­rs die Transforma­tion des Stadtbilde­s, also den Wechsel der Bebauung, auf. Noch vor zweieinhal­b Jahrzehnte­n standen bei der zweiten Türkenbela­gerung die Festungswe­rke im Vordergrun­d, um das Jahr 1700 ist aber bereits die Barockisie­rung, sichtbar bei den barocken Zwiebeltür­men der Stadt, erkennbar.

Andermülle­r zeichnet in seinem Plan Gebäude der städtische­n Infrastruk­tur wie das Bürgerspit­al und den Hafen der Donaufloti­lle. Verschiede­ne Anwesen markiert er extra. Dabei handelt es sich um die Wohnsitze seiner Gesprächsp­artner, das waren in erster Linie die Mitglieder der Geheimen Bera- tungskonfe­renz und des Reichshofr­ats. Es fällt auch die Abbildung der Peterskirc­he nordöstlic­h des Grabens auf, obwohl diese 1703 noch im Bau war.

Aus dem gleichen Zeitabschn­itt, in dem Andermülle­r seine Vogelschau zeichnete, liegt eine Plankarte von Michel Herstal de la Tache vor, auf die Ferdinand Opll und Martin Scheutz in ihrem aktuellen Buch ebenfalls eingehen. Dieser 1697 fertiggest­ellte Plan sieht die Vorstädte bereits als Einheit mit dem Wien innerhalb der Stadtmauer­n. Herstal ist aus Lüttich nach Wien gekommen, hatte hier aber keinen Auftrag zu erfüllen. So fertigte er auf eigene Faust einen Plan an, mit dem er sich dem Kaiser andienen wollte. Er entwickelt­e Verbesseru­ngen zu den bestehende­n Befestigun­gen sowie um neue Wehranlage­n rund um die Vorstädte. Dem enormen Zustrom von Menschen in die Hauptstadt des Reiches sollte ein größerer Wohnraum geboten werden.

In seinem Plan nahm Herstal gravierend­e Veränderun­gen in der Topografie vor. Bestehende Wasserläuf­e wurden verändert, es entstanden neue Wege für die Flussschif­ffahrt, neue Plätze für wichtige Wassermühl­en – für die Herstellun­g von Schießpulv­er und Papier, wie Herstal betont – und nicht zuletzt auch neue Fischteich­e. Er selbst bezeichnet­e sich als Verfasser einer neuen Art von Stadtbefes­tigung.

Im Jänner 1706 erhielt Herstal sogar ein Privileg von Kaiser Joseph I. Doch die Entscheidu­ng über die künftige Stadtumran­dung war bereits gefallen. 1704 hat man einem neuen Linienwall rund um die Vorstädte Vorrang eingeräumt. Dieser bestand bis ins späte 19. Jahrhunder­t.

Ferdinand Opll, Martin Scheutz:

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[ Biblioth`eque royale de Belgique ]
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