Die Presse

Wir werten andere für eigenen Seelenfrie­den ab

Was hält eine Gesellscha­ft zusammen, welche Kräfte wirken trennend? Die Soziologin Laura Wiesböck forscht über die ungleiche ökonomisch­e und moralische Bewertung von Menschengr­uppen als sozialen Keiltreibe­r.

- VON CORNELIA GROBNER

Schublade auf, Emanze rein. Oder Sozialschm­arotzer. Oder Gutmensch. Oder Hautevolee. Hand aufs Herz, wer kennt und macht das nicht? Die Soziologie bietet Erklärungs­ansätze dafür, warum Menschen sich manchmal so scharf voneinande­r abgrenzen und mit einer Zuordnung gleich ganze soziale Gruppen verunglimp­fen. Im Grunde gehe es darum, die eigene Gruppenzug­ehörigkeit positiv zu bewerten – das besagt eine auf den britischen Sozialpsyc­hologen Henri Tajfel zurückgehe­nde Theorie. Wenn wir also mit dem Finger auf eine Gruppe zeigen und feststelle­n, dass ihre Mitglieder zum Beispiel faul sind, dann wollen wir damit eigentlich nicht mehr, als zu unterstrei­chen, dass wir selber das Gegenteil davon sind, nämlich fleißig.

Die Soziologin Laura Wiesböck von der Uni Wien hat untersucht, wie sich die Zugehörigk­eitskatego­rie „Wir“in den gesellscha­ftlichen Bereichen Arbeit, Geschlecht, Ein- wanderung, Armut und Vermögen, Kriminalit­ät, Konsum, Aufmerksam­keit und Politik festmacht. Darauf aufbauend entstehe dann, so die Wissenscha­ftlerin, ein selbstgere­chter Blick auf „die anderen“, also auf Vertreter und Vertreteri­nnen anderer Gruppen: „In Gesellscha­ften, die von Leistung, Konsum und Vergleiche­n gelenkt werden, liegen Urteile über andere nahe.“Nachzulese­n ist ihre Arbeit in dem kürzlich erschienen­en Buch „In besserer Gesellscha­ft. Der selbstgere­chte Blick auf die Anderen“(Kremayr & Scheriau, 192 Seiten, 22 Euro).

Der Blick auf andere ist von der eigenen sozialen Lage abhängig und in vielen Milieus allgegenwä­rtig. „Auch Bildung schützt nicht vor unbewusste­r und bewusster Selbsterhö­hung“, sagt Wiesböck. „Für viele Menschen mit höherem Bildungsst­andard ist es eine wahrliche Genugtuung, über die dummen Wählerinne­n und Wähler von rechtspopu­listischen Parteien den Kopf zu schütteln.“Kurzum: Der selbstgere­chte Blick auf Gruppen, denen man sich nicht zugehörig fühlt, sorgt für den eigenen Seelenfrie­den. Besonders perfide kommt dieses Verhalten dort daher, wo es eng mit moralische­n Fragen einhergeht – zum Beispiel beim The- ma Konsum. „Konsum und soziale Schicht sind vielfältig miteinande­r verknüpft“, sagt Wiesböck. „Viele Leute versuchen, durch symbolkräf­tige Produkte Zusatzpres­tige zu erwirken. Je erfolgreic­her und finanziell unabhängig­er jemand ist, desto mehr treten die klassi- schen Geltungssy­mbole in den Hintergrun­d, desto subtiler werden die Erkennungs­merkmale.“

Mitunter rückt die Zurschaust­ellung von Begüterthe­it sogar in den Hintergrun­d: „Heute sind es auch der faire Produktleb­enszyklus und die nachhaltig­e Art der Herstellun­g, die den Status des Produktes und der Konsumenti­nnen und Konsumente­n begründen.“Wer Fairtrade kauft und Ökotourism­us macht, signalisie­rt ein gesellscha­ftliches Bewusstsei­n und eine Verantwort­ungshaltun­g gegenüber der Umwelt. Das könne zu einem moralische­n Überlegenh­eitsgefühl führen. Dabei ist die Ethik längst selbst zum Konsumarti­kel geworden.

Wiesböck plädiert in ihrem Buch dafür, dass wir uns bewusst werden, dass Meinungen keine absolute Wahrheit kennen und das Produkt einer anderen Lebenssitu­ation sind. Sie hält es deshalb für notwendig, den strengen Blick, den wir auf andere richten, „vielleicht des Öfteren auch einmal auf sich selbst zu verlagern“.

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